5) Akteneinsicht 1989: Mit Udo zum Fahnenappell

Bevor ich ins Jahr 1990 weiter blättere, will ich noch mindestens zwei paar Geschichten dokumentieren, die mir zumindest irgendwie besonders scheinen. In der folgenden Geschichte dreht es sich darum, wie ich einen Pionier-Appell mit einem Song von Udo Lindenberg veredelt habe.

Leider (oder zum Glück) kenne ich dazu keine schriftlichen Aufzeichnungen, aber ich habe es genauso in meinem Kopf. Ich glaube, es war in 1989, denn in 1988 hätte ich mich das vermutlich nicht getraut.

Zunächst will ich das Prinzip eines solchen „Appells“ beschreiben. Vier oder fünfmal im Jahr gab’s in der Schule einen so genannten Appell. Mindestens zu Schuljahresbeginn und -Ende, dazwischen noch mal, wenn es irgendwelche Anlässe gab (Feiertag, Schuljubiläum etc.) Unter Appell verstand man (ähnlich dem Militär) ein „Aufstellen“ aller Schüler, in Pionierkleidung (weißes Hemd, blaue Hose oder Rock, blaues oder rotes Halstuch je nach Alter) oder in FDJ-Hemd/Bluse (blau). Solche Appelle fanden je nach Saison auf dem Schulhof oder in der Aula statt. Die Klassen mussten an zugewiesenen Plätzen Stellung nehmen, in der ersten Reihe die „schlauen“ in Pionierkleidung, hinten dann die mit vergessener Pionierkleidung. Zur Dekoration gehörten Blumen, Fahnen, Schulwimpel, manchmal sogar Fackeln (fanden wir Jungs super).

Dann folgte die Begrüßung, die ungefähr so erfolgte:

„Wir begrüßen die Schüler der unteren Klassenstufen mit dem Gruß der Pioniere „Seid bereit!“. Worauf dann die Kids recht euphorisch „Immer bereit!“ brüllten und die rechte Hand auf der Kopfplatte artig zum Gruß aufstellten.

„Wir begrüßen die oberen Klassen mit dem Gruß der Freien Deutschen Jugend „Freundschaft!“. Dem murmelten die Älteren, stimmbrüchig, pubertierend und gelangweilt ein „Freundschaaaaaa …“ entgegen.

Das Hauptprogramm bestand dann aus „wichtigen“ Worten, einem Musikstück oder Lied des Schulchors. Die Versammlung wurde dann irgendwann beendet und alle schlurften zurück in die Klassenräume.

Genug der Erklärung, nun zu meiner Geschichte: Irgendwann durfte/sollte ich mal einen solchen Appell mit organisieren und bei der musikalischen Untermalung helfen. Auf keinen Fall wollten wir den Schulchor da hören, es sollte etwas aus Rock und Pop sein, deutschsprachig, aber nicht den damaligen „Standard“.  So fiel die Idee auf Udo Lindenberg, aber das Verhältnis der DDR zu Udo Lindenberg war schwierig. Es gab zwar lizensierte Tonträger von Udo im Handel zu kaufen … trotzdem … auf einem Schul-Appell …. da hatten wir schon Bammel. Wir loteten in der Hierarchie die Bereitschaft dazu aus und nahmen keine großen Widerstände war.

Am frühen Morgen eines solchen Appells bauten wir also die Tontechnik auf dem Hof auf, die Schüler trotteten heran, stellen sich auf und dann spielten wir zur Eröffnung „Wozu sind Kriege da“ von Udo und Pascal. Als der Song anlief beobachteten wir die Schulleitung, bekamen arge Zweifel ob das nun so eine gute Idee war und dann lernte ich auch, dass 4 Minuten extrem lang sein können.

Aber wir haben es überlebt, wurden danach nicht zum Direktor kommandiert und die Geschichte blieb auch schadlos für meine Familie. Die Zeit war wohl reif.

Wenn ich heute den Titel irgendwo höre, haut es mich aus den Schuhen und eine Küchenrolle in Griffnähe wäre wünschenswert.

<— 4) Akteneinsicht 1989: Wandel

—> 6) Akteneinsicht 1989: Mit Basecap zu Gorbi


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4 Kommentare zu „5) Akteneinsicht 1989: Mit Udo zum Fahnenappell

  1. Vom Fahnenappell kenne ich keine Geschichte von meinem Sohn. – Der hat mal zu Haus auf der Nähmaschine das Logo vom HSV genäht und mir ZickZackStich gesteppt. Er hat vorher rumgefragt, wer sich traut, das an einem verabredeten Tag an die Kleidung zu nähen – es haben alle oder fast alle Jungen mitgemacht, nicht verraten, woher die Dinger sind und mein Sohn konnte weiter „Unfug“ machen.

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