11) Akteneinsicht 1991: Zwischen Heimat und System

Den folgenden Teil der Reihe >Akteneinsicht, schiebe ich schon etwas länger vor mir her. Es war immer klar, dass dieser Beitrag irgendwann mal anstehen würde, aber ich weiß nicht, wie ich ihn beginnen soll. Es geht darum, dass die DDR rückblickend oft „Unrechtsstaat“ gennant wird, für den Großteil der Bürger dort aber auch einfach „Heimat“ hieß. Und „zu Hause“ definiert sich nun mal auch durch Alltag. Zum Beispiel durch Wohnung, Schule, Arbeit, Urlaub, Freunde, Familie, Kollegen, Datscha, Verein und so weiter. Aber auch Orte, Wege, Organisationen, die dem Leben Struktur und Vertrautheit bieten, gehören dazu. Und die wurden binnen nicht mal eines Jahres abgeräumt.

Ich glaube, es war Ende 1990, da wurden die Schülbücher ausgetauscht. Statt vom Verlag „Volk und Wissen“, wurden wir nun von Cornelsen, Westermann und Klett ausgestattet. Was gestern falsch war, wurde über Nacht richtig. Die Aufmachung und Papierqualität war hochwertiger, dadurch waren sie aber auch deutlich schwerer als die DDR-Bücher. Und sie enthielten „andere“ Fakten (speziell in Geschichte, Sozialkunde etc). Ist das denn nun die Wahrheit? Oder nur einfach nur eine andere Sicht auf die Dinge? Das wurde nicht mit uns besprochen.

Genauso eifrig war man beim Umbenennen von Straßen, Plätzen und Schulen. Ja natürlich waren die Namen Thälmann, Lenin, Luxemburg, Dimitroff, Grotewohl, Piek im Stadtbild deutlich überrepräsentiert. Und wir hatten mittlerweile vermittelt bekommen, dass das eben nicht nur „Helden“ des Kommunismus und Sozialismus waren. Ein großes Durcheinander folgte. Für die Taxifahrer konnte das Problem einfach mit erweitertem Anhang in Berliner Stadtplänen gelöst werden, in dem sich ein Verzeichnis alter und neuer Straßennamen fand. Für die Jugend fand ein solcher Transfer, inhaltlich meine ich, nicht statt.    

Dass Städte wie Karl-Marx-Stadt wieder in Chemnitz zurückbenannt wurden, und „Wilhelm-Pieck-Stadt Guben“ einfach wieder nur die „Kleinstadt“ Guben am Fluß Neiße sein würde, war mir ziemlich egal. Als es dann aber auch der  kleine Brandenburger Ort Lehnin (mit „h“ wohlgemerkt und erstmals erwähnt um das Jahr 1200) in den Focus kam, da wurde erkennbar, wie irre das teilweise zuging.

Aber selbst das, das waren ja nur Buchstaben, die man recht schnell austauschen konnte. Beim Abriss von großen Denkmälern tat man sich sich schon schwerer. Spezielle Diamant-Säge-Blätter mussten rangeschafft werden, um den großen Lenin am Leninplatz unweit von hier zu demontieren (spektakulär im Film „Good Bye Lenin“ zu sehen). Auf dem glatten Granitplatz konnten wir vorher wunderbar Skateboard fahren. Der war dann leider futsch und wurde zum „Platz der Vereinten Nationen“ mit langweiliger Wiese, Kieselwegen und Springbrunnen aus großen Steinen (siehe Titelbild).

Den Nummernschildern an den Autos ging es auch schnell ans Blech. Die Ost-Berliner führten vorher ein „I“ vorn im Schilde, bei denen war das neue „B-“ schnell beliebt. Allerdings mussten für die Ost-Berliner Autos neue Buchstabenbereiche eröffnet werden und somit war im Straßenbild doch recht schnell klar, wer aus dem Osten kam und wer nicht. Alte „Westberliner“ Kennzeichen standen Hoch im Kurs, um nicht als Ossi erkannt zu werden. Ich erinnere mich auch, dass das Nummernschild beginnend mit OST- eigentlich für die Stadt Osterburg gedacht war, dass dann aber mehrheitlich abgelehnt wurde. Niemand wollte so nach Bayern oder Baden Würtenberg dem Urlaub oder neuen Job entgegen fahren. Aus OST- wurde dann SDL- … keine Ahnung wo das ist, aber Hauptsache nicht „Osten“.

Und auch damit entstand etwas Gefährliches, was heute noch seine Auswirkungen hat. Natürlich war der „Ossi“ in vielen West-Gepflogenheiten unerfahren, viele Menschen verloren zudem Job, Identität und Halt. Viele mussten wieder von ganz “unten“ anfangen, fanden sich in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und wurden erneut enttäuscht. Ein gefundenes Fressen für schlaue „Besser-Wessi‘s“ und die Erfinder von Ossi-Witzen. Es enstand eine gewisse Scham, als Ossi aufzufallen. Sei es über Nummernschilder, Klamotten, Sprache oder Lebensläufe. Als geborener Ost-Berliner, konnte ich immer voll überzeugt sagen, ich käme aus Berlin. Während der Berufsausbildung, fand ich erstaunlich, wie lange meine Azubi-Kollegen aus z.B. Bayern mein „Berlin“ automatisch als West-Berlin deuteten. Wenn ich mal beim Bierchen durchblicken lassen habe, dass ich aus Ost-Berlin stammte, kamen häufig Antworten wie „Ach das hätte ich ja jetzt nicht gedacht“ oder „Siehst ja gar nicht so aus“.

Manchmal begegnet mir heute gelegentlich eine gewisse „Ostalgie“ und gleichzeitig stößt sie mir dann aber auch sauer auf. Wenn es den Anschein hat, da würde jemand ein Unrechtssystem schönreden, mag das in Einzelfällen sicher stimmen. Für die Mehrheit sind es doch aber Erinnerungen an … Heimat und Herkunft … und den nicht ausgiebig genug geführten Dialog in der Zeit der Wende. Übrig geblieben sind heute oft nur eine Zeitlupe aus Champus und Feuerwerk auf der Berliner Mauer, untermalt vom „Wind of Change“ der Skorpions.

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—> 12) Akteneinsicht 1991: Abklingbecken

116) Postkarte aus Berlin … nich’ aus New York!

Die politische Großwetterlage zu kommentieren, dafür ist mir spätestens heute Morgen die Laune vergangen, als ich die ersten Nachrichten aus den USA hörte. Ich bin enttäuscht, entsetzt, frustriert … ringe nach Worten. Es scheint, „jemand“ hätte ein Gruppenticket für uns gebucht, für eine Zeitreise zurück in die Achtzigerjahre.

Geht es diesem Amerika wirtschaftlich wirklich so schlecht, dass eine schwarze Frau unwählbar war ist, stattdessen ein mehrfach vorbestrafter National-Narzist und Populist? Selbst für Menschen mit Migrationshintergrund und Wurzeln im lateinamerikanischen Süden? Wenn dem so ist, dann will ich da die nächsten Jahre auch nicht hinreisen. Ist ja armselig. Dann verstehe ich aber auch nicht, warum so viele Menschen weltweit genau dorthin wollen. Gut, dass wir unsere Pläne für den Sommer auf einen anderen Kontinent verlagert haben. Als Alternativprogramm für die aktuell laufenden Glückwünsche und Freundschaftsbekundungen (würg….) werde ich heut einfach mal ein paar Bilder von Berlin bringen.

Von der B-Seite, mal aus einem anderen Blickwinkel.

Also … eat this … ich frische derweil meine Russischkenntnisse wieder auf.

Muffel….

Zunächst ein paar Bilder aus der Ecke, wo das ursprüngliche Berlin mal stand. Über 200 Jahre bevor der Columbus überhaupt geboren war.

Die nächsten Bilder oben, unten, links, rechts von der Karl-Marx-Allee. Zeitweise Stalin-Allee. Auch eine Epoche, die hoffentlich nie wieder kommt.

Die nächsten Fotos vom Tanz der Kräne, Berlin will New York werden. Auf märkischem Sand. Na mal sehen, ob der trägt.

Und zu guter Letzt, der Fernsehturm. Das Wahrzeichen, dass mir zeigt, dass ich zu Hause bin. Auch wenn die Stadt manchmal sehr nerven kann. Aber da bin ich aktuell lieber in Berlin, als in New York.

Macht’s ma’ jut!

„I don‘t wanna wake up in the city that never sleeps …“

T.Head

584) Deutsches Idyll am Roten Meer

Nachdem unser Flugzeug in Berlin gelandet war, stiefelten alle Fluggäste artig zum Bus in Richtung Terminal. Der Bus fuhr bald ab und irgendwo weiter hinten fing jemand an, laut zu motzen. „Jetzt sind wir wieder in den scheiß Deutschland. Hier musst’de wieder ufpassen, nich’ gleich abjestochen zu werden. Dit hätt‘s in Hurghada nicht gegeben. Sag‘ ick dia“.

Willkommen zurück in Berlin.

Dass der Typ den Urlaub in Hurghada in einer „All Inclusive Enklave“ verbracht hat, um sich herum lauter Arbeitskräfte, die er beliebig hin und her kommandieren konnte und netterweise ab und zu mal „Chef“ nannte, wenn es darum ging, das nächste Bier zu kriegen, hat ihm vermutlich sehr gefallen. Auch, dass das Buffet immer reich bestückt war und er jeden Morgen frische Handtücher bekam, um seine Liege zu reservieren.

Das es bei den Rechten von Frauen, Oppositionellen und Journalisten weniger „all inclusive“ zugeht, Todesstrafe und Folter durchaus im Preis enthalten sind, ist völlig Wurscht. Das hat er wohl in dem Moment irgendwie ausgeblendet. Oder es interessiert ihn nicht. Hauptsache, die Geschäfte vor Ort sind in Deutsch beschriftet, so dass der Heinz auch sein Kaufland und sein Aldi findet und das Personal scheuchen kann, wie er es zu Hause nicht wagen würde.

Widerlich.

“Dann geh‘ doch zu Netto“ … kam mir in dem Moment die Kinderstimme aus der Radio-Werbung in den Sinn. „Dann geh‘ doch.“

36) Postkarte vom Darß 2

Schon wieder ein Postkarte vom Darß? Gab‘s da nicht erst kürzlich eine? Ja, die gab es. Im Oktober letzten Jahres (> hier). Dieses Jahr ist alles etwas anders, also müssen auch meine Postkarten nachziehen. Weniger nachdenklich, weniger skurril, dafür aber um so mehr Reim…

Eigentlich wollt´ ich nach Korsika
Da wo ich noch niemals war
Aber nun wegen SARS
Ging’s auf‘n Darß

Und dorthin, unsere Reise
War sparsam, eher leise
Kein Flug mit Check In
Fuhren mit dem Auto hin

Schöner Flecken Erde
Fische, Kühe, Pferde
Und nackig darf man baden
Fahrrad stärkt die Waden

Nur der Netzausbau
War´n bisschen mau
Musste zur Verwaltung
Für ´ne schnelle Leitung

Verbrachten schöne Tage
Irgendwie vertraut, keine Frage
Frag mich, was wird nächstes Jahr
Klappt‘s dann mit Korsika?

Das war‘s, Grüße vom Darß

T.

<— Weitere Postkarten gibts hier