634) 8. Mai

Fährt man von Osten in die Stadt Berlin rein, dann ist es recht wahrscheinlich, dass man über die Landsberger Allee anrollt. Und dann kommt man an einer Villa vorbei, sie nennt sich heute „Haus der Befreiung“ (>Wiki). Sie ist ein Eye Catcher, denn schließlich prangt ein großer roter Stern an der Giebelwand. Lange Zeit war das Gebäude mit Bauplanen verhängt, und ich dachte zunächst, es wäre ein Protest gegen die russische Invasion in der Ukraine, aber es war wohl wirklich „nur“ eine Renovierung, und nun ist sie pünktlich beendet.

Am 8. Mai 2025 jährt sich das Kriegsende zum 80. Mal und dort kriegt man ungefähr einen Eindruck, wie sich die rote Armee damals in Richtung Stadtkern durcharbeitete. An der Ost-Wand prangen drei Schriftzüge. „Sieg“, „Nach Berlin“ und 21. April 1945.

Von dort sind es noch mal ungefähr 16 Kilometer bis zum Reichstag. Heute ein Fußmarsch von dreieinhalb Stunden, schneller mit dem E-Roller, damals ein Kampf von gut zwei Wochen bis zur Kapitulation. Mit wer weiß wievielen Toten auf beiden Seiten.

Obwohl ich 30 Jahre nach Kriegsende geboren wurde, schien das Thema in meiner Kindheit „für immer“ präsent zu sein. Es wurde regelmäßig besprochen, in den Medien, in der Schule, in den politischen Organisationen. „Nie wieder!“ und das ist ja auch gut so.

Hitler war für mich ein Monster, die Person Adolf Hitler war in den Ost-Deutschen Medien kaum zu sehen, vielleicht mal schwarzweiß im Schulbuch, aber nicht in Bewegung, auch kaum seine Reden. Die Sowjets wurden für uns die (befohlenen) Freunde, die Amerikaner die bösen Imperialisten, die ihre Pershings auf den Osten richteten. Nicht einfach, aber immerhin klar.

Mit der politischen Wende in den 90-er Jahren änderte sich das dann wieder per Kommando. Die Russen mussten abrücken, wurden vom Freund zum Geschäfts-Partner, die Amerikaner waren nun die neuen Freunde und durften auch bleiben. Go West! Yippie yeah. Great, awesome!

Nun scheinen beide Länder keine Freunde mehr zu sein, dafür sieht man Hitler fast täglich im Fernsehen, gern auch nachcoloriert, damit man sich das besser vorstellen kann. Die Mediatheken sind voll von ihm, gern auch mit Eva Braun und Schäferhund auf dem Obersalzberg. Widerlich. Fehlt bloß noch, dass sie mittels KI gemeinsam an einem Eis schlecken.

Und dass es die über 2 Mio Sowjets (Internet) schon einmal zu Fuß, per Pferd oder per Panzer nach Berlin geschafft haben, macht aktuell noch mehr nachdenklich.

Ich fahre oft an dem Haus vorbei und denke drüber nach.

102) Corona-Lektionen 23

In Berlin endet bereits heute die 8. Woche im Family-Homeoffice. Morgen haben wir frei. Eigentlich wollten wir ja den Frauentag feiern, aber der 8. März fiel dieses Jahr auf einen Sonntag. Also bekamen wir den 8. Mai geschenkt.

Ein paar Gedankengänge der letzten Tage:

Spiel: Kerstin schrieb kürzlich auf https://alltagseinsichten.com, dass sie das aktuell doch alles sehr an Brot & Spiele und den Film „Matrix“ erinnere. Ähnliche Gedanken kamen mir in der Woche auch, ich hatte aber eher „Monopoli“ vor Augen. Aber mit dem Unterschied, dass man nicht selber würfelt, sondern die Würfel von anderen geworfen werfen.

Der Rest bleibt ungefähr gleich:

  • Gegen Sie hier hin, aber gehen Sie nicht dahin
  • Gehen Sie am Rand, kommen Sie einander nicht zu nahe
  • Gehen Sie in den Bau, warten Sie 8 Runden … oder Wochen
  • Zahlen Sie dies und das, Strafgebühr, Anzahlung für keinen Urlaub
  • Stehen Sie hier an, warten Sie dort, aber bitte mit Abstand
  • Hotels sind gerade wieder im Kommen, kann man kaufen
  • Theater und Kulturstädten besser noch schnell abstoßen

Hygiene-Konzept: Die Arbeitgeber, die ihre Leute zurück in die Büros holen wollen oder müssen, beschäftigen sich mit seitenlangen Hygiene-Bestimmungen. Klinken putzen, Fenstergriffe desinfizieren, Kaffee-Maschine reinigen, Tastatur abwischen, Telefonhörer polieren usw usw.  Team-Leads sind von nun an nicht mehr nur Chef, Coach, Datenschützer, Informationsschützer, Arbeitssicherheitsverantwortlicher und Chief Happiness Officer, sondern nun auch noch Putzkraft. Herzlichen Glückwunsch. Ich bleibe im Homeoffice so lange ich kann.

Hamster-Retrospektive: Die ersten Hamster-Käufe fanden nach meinen Notizen in der Woche vom 24.02.2020 statt. Die Mindesthaltbarkeitsdaten dürften nun Anfang Mai überschritten sein.

Daher lasst mich nun die Hamster fragen:

  • Hat die Mehlsuppe gut geschmeckt?
  • Habt Ihr euch an Dosen-Ravioli gelabt?
  • Oder sind euch die Kartoffel-Zentner, Salami-Ringe und Käse-Räder verfault?
  • Und wie steht’s eigentlich um die Klo-Papier-Bestände?

8. Mai: Der Tag der Befreiung jährt sich morgen zum 75. Mal. Die Deutschen krabbelten damals wieder aus den Kellern und Schützengräben. Die Städte lagen in Schutt und Asche. Sie standen vor dem Nichts. Und weil das alles noch nicht genug war, folgten 1946 und 1947 noch eisige Winter.

Das lässt doch die heutigen Probleme in einem ganz anderen Licht dastehen, oder?

Nachtrag: Tja, so wollte ich den Beitrag eigentlich enden lassen. Aber vorhin war ich noch mal im Park, etwas frische Luft schnappen. Da schien niemand ein Problem zu haben. Skater, Jogger, Volley-Baller überall. Kinder tobten auf den Spielplätzen, Picknick-Decken und Sitzgelage mit Bierchen auf der Wiese. Schon wieder eine neue Realität.

<— Corona-Lektionen 22

—> Corona-Lektionen 24