90) Schlüssel-Momente

Des Stammhalters Wohnungsschlüssel war jüngst verloren gegangen. Das trieb dem hiesigen Minister für Finanzen, Wirtschaft und Verteidigung noch mehr Falten auf die Stirn. Und auch die Ministerin für Familie, Kultur und Außenbeziehungen war sehr beunruhigt. 

Ein Innenausschuss wurde einberufen und der Stammhalter musste sich den bohrenden Fragen von Regierungskoalition und Opposition stellen:

Also, wenn der Schlüssel wirklich weg ist, weißt du was das heißt? Dann müssen wir die Hausgemeinschaft informieren, weil da draußen irgendwer mit deinem Schlüssel herum läuft, mit dem man Haustür, Keller, Fahrradräume und Garage öffnen kann. Geh‘ noch mal den Tag in Gedanken durch. Welche Klamotten hattest du an? Hast du die Tür nach der Schule aufgeschlossen oder hattest du geklingelt? Bist du wirklich sicher, dass du den Schlüssel hier in der Wohnung abgelegt hast? Ja? Wirklich? Na gut. Dann ist das ja nur eine Frage von Zeit und Aufwand. Dann muss der ja irgendwo hier sein.

Ein Untersuchungsausschuss wurde gegründet und stellte die Wohnung auf den Kopf. Die Arbeitsgruppe suchte in den unmöglichsten Ecken, gerade an den Stellen, wo man gerne >nur mal eben kurz und >nur mal eben schnell etwas ablegt. Aber Fehlanzeige. Irgendwann verabschiedeten wir uns gedanklich von dem Schlüssel und beruhigten uns damit, dass ihn ja kein anderer haben kann. Und ich schrieb einen neuen Punkt ins Koalitionspapier: „Ersatzschlüssel organisieren“.

Seitdem prokrastiniere ich den vor mich hin, denn für solche Reformen, lassen sich immer schlecht Mehrheiten finden.

Heute wühlte ich mal wieder durch unsere Reisekiste. Ein Karton, in dem ich all möglichen Schnickschnack aufhebe, den ich bei Reisen brauche(n könnte). Unter anderem auch Steckdosen-Adapter. Ich wollte prüfen, ob ich noch die passenden Formate für meine Reise im Januar habe oder etwa besorgen muss. 

Ergebnis positiv. Ich habe sogar zwei Stecker.
Und ich fand ein schwarzes Schlüsselband.
Mit dem Logo des Köpenicker Fußballklubs.
Und einem Wohnungsschlüssel dran.
Wie kommt der denn dahin?

Eines ist wohl klar, der Stammhalter würde sich nie an dieser Kiste vergreifen. Ich glaub‘, der weiß nicht mal, wo die steht.

Der Minister und die Ministerin traten schweigend vor die offene Kiste. Sie schauten gefasst in den Abgrund … und sich danach peinlich berührt und fragend an.