Ich habe zwar mein Nachrichten-Konsum in der Menge reduziert, aber ich höre schon noch genau zu, was da gesagt wird. Und da fallen mir in den letzten Wochen zwei Veränderungen in der Wortwahl zur Migrationsdebatte auf, die mir irgendwie aufstoßen:
1. „Irreguläre Migration“:
Wetterte man vor Monaten noch gegen „illegale“ Migration, hat man nun festgestellt, dass Migration per se erst mal gar nicht illegal sein kann, denn das müsste ja erst mal geprüft werden. Aber dann sind die Menschen ja schon im Land und das will man ja nun gar nicht, weil wir bei der Integration heillos überfordert sind. Und weil nun auch die Parteien der „Mitte“ in den Singsang einstimmen müssen, damit die Wähler nicht zur AfD rennen, sprechen sie nun eben von „irregulärer Migration“, die es zu reduzieren gilt. Also Menschen, die flüchten, sollen nur noch einen „regulären“ Weg nehmen (was auch immer das ist) oder sich erst gar nicht auf den Weg machen, es sein denn es gibt einen EU-Außenposten an der Nordküste Afrikas, der die Legalität bescheinigt. Denn dann kann man auch regulär first class Lufthansa fliegen, zahlt immer noch weniger als für Schleuser und das Gepäck ist sogar versichert. Ha. Ha.
Die zweite Formulierung kommt in den letzten Tagen wieder häufiger und erinnert mich an wildeste Corona-Zeiten.
2. „Die Zahlen müssen sinken“
Insbesondere im Zusammenhang mit der letzten Ministerpräsidenten-Konferenz, kam diese Formulierung wieder hoch. Auch in ähnlicher Form in … „wenn die Zahlen nicht deutlicher sinken …“ oder .. „die Zahlen im Frühjahr wieder sinken…“ . Wenn man das Wort „Menschen“ vermeidet und nur noch von „Zahlen“ spricht, dann geht das scheinbar einfacher über die Lippen. Das Wort „Sinken“ will ich in dem Kontext gar nicht erst aufgreifen.
Aber das ist auch noch alles nicht aussagekräftig genug. Ich warte eigentlich nur darauf, dass wir nun endlich auch ein paar Kennzahlen entwickeln. Darauf stehen wir doch irgendwie, oder? So eine schöne Migrations-Inzidenz vielleicht, oder einen M-Wert oder ein M-Ampelsystem, damit wir das dann auf eine Deutschlandkarte pappen können und sehen, wer denn seine M-Abwehr-Ziele einhält und wer nicht. Dann können wir uns dieses Bild jeden Abend in der Tagesschau angucken, mit dem Finger auf die anderen zeigen. Wir können unsere Reisen ins benachbarte Bundesland abblasen, wenn das Traumhotel von Afrikanern belagert wird.
Dann fehlt eigentlich nur noch, dass wir einen M-Stoff entwickeln, alle M-asken vom M-arkt kaufen und jeglich erdenkliche M-aßnahmen einleiten, damit wir uns die fremden Leue vom deutschen Hals halten. „Flatten the M-Kurve“ kommt dann sicher auch noch. Das regt mich auf und es is so kurzsichtig.
Warum können wir nicht mal „steigende Zahlen“ anstreben und darüber reden?
Zum Beispiel eine steigende Anzahl Wohnungen für alle, eine steigende Zahl von absolvierten Deutschkursen, eine steigende Anzahl S-Bahnfahrten die nicht wegen Personalmangel ausfallen, eine steigende Anzahl von Pflegern/Ärzten aus Syrien, eine steigende Anzahl Solar-Panel-Installateure aus Sudan, eine steigende Anzahl Busfahrer aus Afghanistan, …
Warum scheint hier Vieles auf Abwehr aus zu sein, statt zu überlegen, wo uns diese Leute bei unseren tausenden Herausforderungen helfen können??
Will mir nicht in den Kopf …
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Solange man sich auf Zahlen stützte, muss man nicht von Menschen reden. Und Angst und Panik lassen sich dann nunmal nur durch entsprechend schlechte Zahlen verbreiten… ***grummel, grummel***
Genau, man muss nicht von Menschen „reden „und man muss sich nicht um Menschen „kümmern“. Man muss sich nur um sinkende Zahlen „kümmern“, dass scheint logischer, einfacher and der Wurzel operierend … nur leider etwas kurzsichtig würde ich mal sagen.
Ja, definitiv. Und auf keinen Fall ein anzustrebendes Vorgehen. Und Probleme werden dadurch auch nicht gelöst.
schick den Beitrag mal an Deinen Lieblingssender, vielleicht hilft´s; aber Vorsicht: die Einschaltquote könnte SINKEN, denn die misstrauische Abwehrmasse könnte es als Schönfärberei auffassen. In 5-15 Minuten Nachrichtensendung passen eben nur die ganz dicken Brocken und die sind grade nicht so positiv.
Trotzdem hast Du recht: positive Beispiele verbessern die Stimmung, kürzlich habe ich im Fernsehen einen Bericht über eine Iranerin gesehen, die zuhause Lehrerin war und jetzt in Hessen S-Bahnzüge fährt. Und sie ist kein Einzelfall.
Schön dass so solche Fälle gibt. Aber mir ging es nicht nur um die positivere Kommunikation, sondern eher darum, dass wir Hirn und Geld in Integration und „Nutzbarmachung“ dieser „Ressourcen“ stecken sollten, statt in Abwehr-Konzepte
Du hast einen wichtigen Punkt angesprochen. Es geht um Kommunikation und mediale Schlagworte (die dann in Endlosschleife wiederholt werden, bis keiner mehr weiß, woher sie stammten). Irregulär ist derzeit so ziemlich alles. Ich sah gestern in 3sat eine (österreichische) Dokumentation über das Bevölkerungs- und Arbeitskräfte-Defizit in allen europäischen Ländern. Tenor: Wir benötigen die Migranten und sollten sie mit besten Kräften in den Arbeitsmarkt integrieren. Im Moment tuen wir das Gegenteil. Wer kann, geht ansonsten in die USA oder nach Kanada.
Genau, Kommunikation ist das eine, aber konkrete Maßnahmen, um die Leute hier zu halten (wenn sie sich nichts zu Schulden kommen lassen haben) das fehlt mir total.
Die Canadier haben halt den Vorteil, dass sie entweder von Eis, Wasser oder USA umgeben sind, die könnte etwas wählerischer sein. Aber unabhängig von der Geographie, geben Sie es auch viel konstruktiver an, sie haben kapiert, dass sie Leute von außen brauchen