Noah aktiviert die automatische Antwort, die von nun an jedem Absender geschickt werden würde, der ihm in den nächsten Wochen eine E-Mail schreibt. Er fährt den Laptop herunter und klappt den Deckel zu. Ein wenig brummt das Gerät noch nach, dann aber verstummt der Lüfter im Inneren und es ist endlich Ruhe. Das Headset hängt er an einen improvisierten Nagel in der Gipswand. In diesem Moment denkt er an ein Sprichwort.
Er atmet einmal laut ein und aus, greift die Henkel der kleinen Reisetasche, in der er am Tag zuvor ein paar Dinge zusammengepackt hatte.
Wechselsachen, Reisepass, Kreditkarten, Notizbuch, ein paar Kabel … alles Andere würde sich unterwegs ergeben.
Er lässt die Tür hinter sich ins Schloss fallen, ruft den Aufzug, betritt die leere Kabine und stellt sich vor den zerkratzten Spiegel. Der Aufzug setzt sich in Bewegung und Noah schaut sich in die Augen. „Soll ich das wirklich machen?“ fragt er flüsternd. Das Gesicht im Spiegel scheint zu nicken.
Unten auf der Straße wartet ein älterer VW-Bus, den er sich für die nächsten Wochen geliehen hat. Er ist vollgetankt und ein dicker Europa-Atlas liegt auf dem Beifahrersitz. Hinten gibt es eine höher gelegte Pritsche, darunter Stauraum für Vorräte, Getränke und Material. Kein Luxus, aber genauso, wie er es sich immer vorgestellt hat. Mehr braucht er nicht.
Er nimmt hinter dem Lenkrad Platz, steckt den Zündschlüssel und bittet den Anlasser, das zu tun, wofür er geschaffen wurde. Nach etwas Meckern springt der Bus an und scheint auf weitere Anweisungen zu warten. Auf das Betätigen von Hebeln und Pedalen oder das Drehen am schwergängigen Steuer. Aber Noah zögert, denn eine Frage ist noch unbeantwortet, seit dem Moment, als er sich diese Fahrt in den Kopf gesetzt hatte.
„Wohin eigentlich?“
Egal.
Er verlässt die Parklücke, folgt der Ausfallstraße hinaus aus der Stadt und dem Schild „Alle Richtungen“. Dann fährt er auf einen vierstrahligen Kreisverkehr zu, orange Blinklichter lassen eine Baustelle vermuten. Der Kreisverkehr ist aber befahrbar, nur haben sie alle Richtungsanzeiger entfernt. Noah fährt in den Kreis ein, dreht ein paar Runden und verliert schnell die Orientierung. Ein klappriger Kompass auf dem Armaturenbrett dreht sich eifrig und kommt kaum hinterher. „Hier?“ „Oder besser hier?“ murmelt Noah vor sich hin.
Egal.
Noah umklammert das Lenkrad, schließt die Augen, zählt langsam von 10 auf 0 herunter, öffnet die Augen wieder und nimmt die nächste Ausfahrt.
Kurz darauf empfängt er eine Nachricht von Nuomi.
Yumi: Wo bist du?
Noah: Auf der Straße.
Yumi: Und wohin geht‘s?
Noah: Mal sehen.
PS: Titelbild via ChatGPT



