453) Jenseits der Maschinen (3) – Präsenz

Reisen wir mal ein Jahr in die Zukunft, da bin ich mir ziemlich sicher, dass ChatGPT in die gängigen Software-Produkte integriert ist. Ein ganz normales Feature, so wie die Rechtschreibprüfung und Auto-Korrektur. Sei es in Word, Excel, Outlook oder in WhatsApp, Threema. Überall. Da habe ich überhaupt keine Zweifel, können wir uns gern auf Termin legen und dann schauen wir mal. Vermutlich kommt das sogar eher.

Dann werden wir immer häufiger mit ausschweifenden Nachrichten unserer Vorgesetzten und Geschäftspartner zu tun haben oder mit Ehegatten, die plötzlich so schreiben wie Goethe oder Shakespeare. Leute, die sonst mit Blümchen geizen, (so wie ich ;-)), werden uns mit Wortschwallen beschäftigen und es wird uns eine Mühe sein, den Kern der Botschaft herauszulesen. Danke Belana Hermine für den Trigger.

Was macht das dann mit uns?

  • Genießen wir es einfach und freuen uns über so viel Wortakrobatik und sprachliche Gewandheit?
  • Fühlen wir uns verarscht, weil das, was Schätzchen oder Chefchen da schreiben, überhaupt nicht in deren Herzen stattfindet, sondern nur mittels GenAI generiert wurde?
  • Verdrehen wir die Augen und lassen die Nachricht selber wieder durch GenAI zusammenfassen und all das unnötige Geblubber wegprompten?
  • Oder klären die Bots das einfach untereinander und informieren uns, wie die Geschichte ausgegangen ist?
  • Und was, wenn Schätzen, sich wirklich viel Mühe gegeben hat und den Liebesbrief nach Abendstudium von Literatur & Lyrik wirklich selber verfasst hat? Wird der überhaupt noch registriert? Wie kann der noch auf sich aufmerksam machen? Unten auf der Straße vor dem Balkon singen? Das macht ja dann wohl die SingAI. Was Nettes kochen? Das macht die CookAI. Sie ins Kino ausführen? Schon besetzt durch CineAI. Bisschen Kuscheln? Macht schon HugAI.

Oh je, ich ahne Schlimmes … da wächst keiner mehr nach, der meine Rente finanziert. Ab in die Verwahranstalt zur CareAI. Wir sehen uns dort.

<—Jenseits der Maschinen (2) – Konversation

73) R.I.P. Gespräch

Noch ist es zu früh, den letzten Gruß unter den Nachruf zu setzen. Aber man kann sich schon mal ein paar Notizen machen, damit es dann schneller geht, wenn es wirklich mal so weit ist.

Nein, es geht hier nicht um den Eisbär, auch nicht um den Regenwald oder einen Gletscher. Heute geht‘s … um … das Gespräch. Genau. Das Gespräch.

Vor tausenden Jahren wurde aus einem urzeitlichen Grunzen ein Wort, daraus ein Satz und später ein Dialog. Die Menschen saßen am Feuer, hatten weder Zeitung, noch Glotze, Netflix und What’s App. Also Reden.

Und wie ist das heute? Tja, wir bewegen uns wieder rückwärts:

  • Das Flug-oder Bahnvolk sitzt zwar stundenlang Schulter an Schulter, bekommt aber nicht mal ein „Guten Tag“ über die Lippen. Stattdessen hängen sie nur über Laptop, Handy oder Tablet. Der längste Satz von Mitreisenden ist: „Ich muss mal da durch“. Gern‘ doch, bitte sehr! Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da hatte man mangels Daddel-Kasten wirklich fremde Menschen auf dem Nachbarsitz angesprochen. „Na, und wollen sie hin?“ oder „Was machen sie denn so beruflich?“ oder „Saßen Sie nicht schon letzte Woche hier?“ Da würde man heute bereits wegen Social Engineering verklagt.
  • In den großen Politik-Talk-Shows müssen die Kontrahenten in kürzester Zeit ihren Standpunkt rüberbringen und dem politischen Gegner noch einen Leberhaken austeilen, bevor die Redezeit zu Ende ist. Eigentlich ist es die Aufgabe des Moderators, inhaltsloses Gelaber der Gäste zu beenden und wieder aufs Thema zu lenken. Mittlerweile grätschen die aber schon nach den ersten Sätzen in die Argumentation, werfen mit Fakten-Check, Video-Schnipseln und Social-Media-Zitaten um sich. Gruselig.
  • Am Freitagabend, ab 22:00 Uhr dagegen, soll es etwas lockerer zugehen. Prominente plaudern aus ihrem Leben. Das lässt sich zwar leicht verdauen, kann aber auch sehr ermüdend sein. Zum einen, weil man nicht weiß, ob der interessante Gast, bereits dran war oder erst kurz vor Mitternacht sprechen darf. Zum anderen, weil sich kein vernünftiges Gespräch ergibt. Während ein Gast antworten darf, hocken sieben andere daneben, trinken Wein, naschen Käsecracker und tun ganz interessiert.

Zum Glück gibt es noch wenige Formate, die da hoffen lassen. Da treffen sich zwei Menschen, sitzen gegenüber und reden eine Stunde lang. Das Gespräch gewinnt an Tiefe. Keine Werbung, keine MAZ, einfach nur so reden. Wie früher am Feuer. Großartig, erhellend und inspirierend. Mehr davon bitte!

<— Mehr aus unserer verrückten Welt