602) Überfahren von Werbung

Dass man mittlerweile auch im Taxi mit Werbung beflimmert werden kann, ist ja nun nicht mehr so neu. Neulich sah ich ein Car Sharing-Auto, das hatte auch Bildschirme … aber nach außen gerichtet. Nicht der Fahrgast soll hier umworben werden, sondern die Passanten. Wunderbar, es gibt ja noch nicht genug Werbung in der Stadt. 

Damit „ … lassen sich dynamische und gezielte Werbeinhalte in Echtzeit anzeigen – je nach Standort, Tageszeit oder Zielgruppe. Das könnte besonders für Carsharing-Dienste interessant sein, da die Autos oft in verschiedenen Stadtteilen unterwegs sind und so flexibel unterschiedliche Zielgruppen erreichen …“ schreibt ChatGPT

Einer der Hersteller schreibt „ …Nach Corona zieht es die Menschen mehr denn je wieder auf die Straße beziehungsweise ins Freie hinaus – und das gilt für alle Altersgruppen und über alle Bevölkerungsschichten hinweg. Für Werbungtreibende ergibt sich hier also die beste Gelegenheit, ihre Zielgruppen zu erreichen, zumal die meisten von uns „draußen“ mit geschärften Sinnen unterwegs und selten durch andere Medien abgelenkt sind …“ … ha ha … geschärfte Sinne … ich sehe meistens nur >Handy-Zombies in der Stadt … da mussten sie aber lange an der Argumentationskette arbeiten.

Je nach Stadtbezirk und dortiger Sozialstruktur können also andere Produkte beworben werden, verstanden. In Prenzlauer Berg beispielsweise Lastenfahrrad, Soya-Milch und Kinder-Coaching, in Marzahn und Neuköln eher … Schuldnerberatung und Dosen-Ravioli? Oder die Werbung ändert sich sogar beim Vorbeigehen der Menschen, zugeschnitten auf deren Nutzerprofil, Vorlieben und Neigungen. Das wird sicher sehr unterhaltsam für … alle anderen drumherum. Dann sind wir plötzlich dann doch „draußen mit geschärften Sinnen unterwegs.“

Nun ja. Wenn wir auf der einen Seite irgendwo Energie einsparen, dann muss die natürlich gleich wieder verballert werden.

468) Lokoschinsen

Im Frühling wurde ich in einen Laden … ähm … in einen „Store“ gezogen, da gab es auf drei Etagen Schokolinsen zu kaufen. Ja, die bunten Süchtigmacher mit den zwei Buchstaben und dem verbindenden „&“ in der Mitte. Nicht dass ich die besonders gern esse und ich unbedingt in den Laden wollte, nein, ich war als Tütenhalter angeheuert und hatte keine Chance mehr, abzubiegen. Und da stand ich nun völlig planlos in diesem Linsen-Fachgeschäft.

Neben den Schokolinsen in allmöglichen Farben gab es den üblichen Blödsinn, den es überall gibt. Handtücher, Shirts und Basecaps. Mal steht Berlin drauf, mal Toronto, mal Bayern München, mal Schoko&Linse. Einheitsware aus Fernost. Die Personaldecke war ungewohnt üppig, überall stand „Staff“ in Einheitskleidung herum. Manche trugen Headset und Tablet, sicher die Supervisors. Jetzt weiß ich, warum man im Elektrofachmarkt keinen Verkäufer mehr findet. Die haben auf Linsen umgeschult.

Ein Mädel sprach mich an. „Suchen Sie etwas Bestimmtes?“. Am liebsten hätte ich „ja, den Ausgang“ geantwortet. „Nee, ich warte nur. Danke“. 

Also stand ich da und beobachtete das Geschehen.

An einem Stand konnte man seinen Namen oder einen Text auf die Schokolinsen drucken lassen. 

„Guten Tag, ich hätte gern 300 Linsen mit dem Namen „Shanaya-Luise-Aurelia van der Bergen zu Prenzlau“, geht das?

Bestimmt geht das. Und da geht sicher noch mehr.

  • Sich über eine App die persönliche Schokolinse konfigurieren?
  • Ein Kissen ausstopfen lassen? Dem Teddy neue Augen spendieren?
  • Das Bällebad zum Geburtstag füllen oder eine romantische Badewanne? 
  • Ein Scrabble-Spiel bestücken? Eine Murmelbahn?

Alles noch nicht spektakulär genug?

  • Vielleicht eine personifizierte Schokolinse zum Mond schicken und dort landen lassen?

Alles eine Frage des Geldes 😉

Und was hat das nun mit dem Titel des Beitrags auf sich?
Nüscht. Ist halt mega-unique, gibt‘s noch nich‘

257) Radio me!

Heute möchte ich den Beitrag >My Radio von Anke weiterspinnen. Sie schrieb über ihr Auto-Radio, welches sie neulich mit dem Vornamen ansprach.

In einer Welt, in der die Menschen immer mehr zum absoluten Unikat streben, zur „personalized user experience“, will ich heute mal über das Radio der Zukunft nachdenken.

Also sieben Ideen, wie ein Radio künftig sein könnte:

  1. Natürlich wird das Radio uns persönlich kennen und ansprechen. Mit Name, Geburtstag und sonstigen Daten, die wir ja freiwillig den Datenkraken in den Hals werfen.
  2. Die Musik ist selbstverständlich voll auf unsere Hörgewohnheiten und Likes in den Streaming-Diensten und Social Media-Plattformen abgestimmt.
  3. Bei den Nachrichten kommen nur Nachrichten ins Ohr, die wir auch „hören wollen“, unbequeme Details werden herausgefiltert, geschnitten und geglättet.
  4. Werbung ist logischerweise voll auf uns zugeschnitten. Unser Radio-Sender hat Zugriff auf unsere Anfragen bei Suchmaschinen und Lieferdiensten. Kennt unsere digitalen Einkaufslisten und Kurznachrichten a la „Kannst du bitte noch Brot mitbringen?“.
  5. Da wir ständig posten, dass wir „gerade losgefahren“ und dann auch „gleich da sind“, begleitet uns das Radio mit Informationen durch die Stadt. „Achtung Ampel-Ausfall in der So-und-So-Straße“ und „Nur noch 32 Brötchen und 7 Brote beim Bäcker nächste Ecke links“.
  6. Die Krankenkassen kaufen sich auf den Radio-Sendern ein und sorgen dafür, dass die Temperaturen grundsätzlich kälter angesagt werden und die Winde böiger.
  7. Die Arbeitgeber lassen unterschwellige Nachrichten an die Empfänger senden, die noch immer offline sind. „Guten Morgen Berlin, ein weiterer Start ins Homeoffice!“ oder „Millionen User-Accounts wurden gehackt, versorgen Sie sich schnellstens mit Updates“.

Wenn man das zu Ende denkt, würde das letztlich zu 80 Millionen Radio-Sendern in Deutschland führen. Kinder und Hochbetagte mal eingerechnet. Das Tuning-Rad am Gerät bräuchte man eigentlich nicht mehr, ebenso keine Speichertasten oder Favoriten, denn jeder hat genau den einen … seinen … Sender. Einfach 80 Millionen Bubbles, quasi.

Aus aktuellem Anlass: Mein Auto-Radio hat sich in die ewigen Äther-Gründe verabschiedet. Es macht nichts mehr, außer die Auto-Batterie leersaufen, was auf Dauer ein ungünstiges Preis-Leistungs-Verhältnis darstellt. Als mir die Werkstatt den Preis für ein neues Gerät recherchierte, bin ich fast umgefallen. Soll ich jetzt echt meinen Diesel verkaufen, der noch locker 100.000 km fahren würde wenn man ihn lässt, nur weil sich das elektrische Radio verabschiedet hat?

Mhm … das stimmt mich etwas nachdenklich

Frühere Beiträge zu Radio: