205) Von der Rolle – Teil 2

Heute früh, fiel mir eine Zeitungsbeilage eines Küchenherstellers in die Hand. Nach dem oberflächlichen Durchblättern kribbelte es in meinen Fingerspitzen und ich hatte große Lust, einen zweiten Teil zu „Von der Rolle“ zu schreiben.

Von der Rolle – Teil 1 entstand im September 2020 und kam ganz gut an.

Also los geht‘s:

Seite 1: Typ in Business-Hemd und Kaschmir-Pullover kippt grinsend Essig auf einen tiefen Teller. Die Backofen-Uhr zeigt 12:30 Uhr.
Soll das etwa ein Homeoffice-Lunch darstellen? Ich habe ja schon viele Co-Worker in ihren Office-Höhlen gesehen, aber keiner trug Hemd und Pullover und keiner grinste, wenn es Salat mit Öl gab.

Seite 2: Lady im lachsfarbenen Pulli blättert im Kochbuch, im Ofen liegt ein Brot. Neben der Kochinsel steht ein Beistelltisch, darauf steht ein Laptop. Ah schon wieder Homeoffice.
Nee. Auf dem Display erstrahlt Startseite eines Versandhandels. Is‘ ja wieder typisch. Während der Kerl die Firma durch die Krise steuert, hockt sie zu Hause und denkt nur ans Shoppen.

Seite 4: Typ mit Bart und Zopf lehnt an der Arbeitsplatte, hält einen Kaffee in der Hand und lächelt seinem Vierbeiner zu. Zu seinen Füßen ein Fahrrad-Rucksack mit Zeichnungen.
Das muss wohl so ein neuer Wohlstandsgrüner sein. Gibt sich ganz regional mit Hund und Fahrrad, aber auf dem Tresen auf dem Tresen statt ein Obstkorb voller Südfrüchte

Seite 5: Lady mit Hochwasser-Hosen und hohen Absätzen nimmt einen Schneebesen aus der Schublade und lächelt etwas unsichtbares in Bodennähe an.
Kann kein Tier sein, kann kein Kind ein, die Küche sieht aus wie dreimal täglich geputzt. Ihr Göttergatte ist vermutlich Staatssekretär im Gesundheitsministerium und rettet die Nation, während sie mit dem Saugrobotter flirtet.

Seite 6: Junge Mama mit Kleinkind auf dem Arm, schenkt sich ein Glas Wasser ein. Auf dem Küchentisch liegen Laptop, Handy und irgendwelche Skizzen.
Also, wenn das die gestresste Mama sein soll, die Kind und Job unter einen Hut bringen muss, scheint es ihr ja ganz gut zu gehen. Sie lächelt noch über beide Ohren und der Laptop steht verkehrt herum, so kann man gar nicht arbeiten. Aber die über die Lehne geworfene Strickjacke zeugt nun wirklich von Verwahrlosung und Kontrollverlust. Man sollte das Jugendamt rufen.

Seite 8 und 9: Nur Küchen ohne Menschen.
Die Leute sind bestimmt alle systemrelevant und sind daher zur Arbeit gefahren. Aber ganz bei der Sache scheinen sich nicht zu sein, den in allen Backöfen brennt noch Licht.

Seite 10: Typ mit Wuschelkopf, Bart und Holzfäller-Hemd lehnt an Highboard und beobachtet die Aufbackbrötchen im Ofen. Er freut sich riesig und beisst in eine verstrahlte Riesen-Erdbeere. Auf dem Tisch liegt ein Tablet, die Küchenuhr zeigt 10:12 Uhr
Tja, in jeder Krise gibts auch Gewinner. Guten Morgen, schon aufgestanden?

Und sonst so?
Lego-Steine, Socken oder Frühstückskrümel auf dem Boden sucht man vergebens. Es scheint auch nicht nach Fischstäbchen zu riechen, die Fronten sind nicht mit Schoko-Creme* beschmiert und halbleere Kaffee-Tassen stehen auch nirgends herum. Alle Menschen tragen Straßenschuhe in ihren Küchen, sind bestens gekleidet und noch besser gelaunt. Keine Stapel von Schulbüchern auf dem Küchentisch, keine zerknüllten Mathe-Arbeitsblätter und keine angekauten Tinten-Killer. Keiner bockt weil er den Dreisatz nicht kapiert, keiner heult weil es einen Vortrag über die SPD zu schreiben gilt. Apropos Schüler. Wo sind die eigentlich auf den Bildern? Ach die sind bestimmt in ihren voll-equipten Einzelzimmern, sitzen an ihren Workstations und lauschen konzentriert der digitalisierten Lehrerschaft.

Schöne neue Welt.
Noch einen Schluck Soma gefällig?

*) ohne Palmfett natürlich 😉

<— Von der Rolle – Teil 1

–> Von der Rolle – Teil 3

138) Von der Rolle – Teil 1

Wie soll ich den Beitrag nennen? Vielleicht „Rollenbilder“? Oder „Rollenklischees“? Ach ist ja auch Wurscht, kann ich später immer noch entscheiden.

Sarah von https://mutter-und-sohn.blog hat vor kurzem einem Beitrag über antiquierte Rollenbilder veröffentlicht und wir hatten ein paar Kommentare dazu gewechselt. Am Wochenende drauf fiel mir eine Werbebeilage eines Kücheneinrichters in die Hand.

Ich blätterte und wunderte mich:

Seite 1: Eine Frau sitzt mit hohen Hacken gegenüber dem Induktionskochfeld und zeigt ihre hübschen Zähne, der Mann gegenüber gießt ihr ein Glas Wasser ein.
Die Küche bleibt kalt. Laaaaaaangweilig aber na gut, die Küche kostet schlappe 10.000 EUR, da gibts erst mal für längere Zeit nur Wasser.

Seite 2: Ein Mann schneidet Baguette in Scheiben, ihm gegenüber am Tresen steht sein Kumpel mit einem Glas Rotwein in der Hand.
Eine teure Küche kaufen und dann nur „Brot und Wein“ kredenzen. War ja nicht anders zu erwarten. Typisch Mann.

Seite 3: Ein Mann in frischen Jogging-Klamotten hält vier halbe Limetten über einen Mixer. Weitere Limetten liegen griffbereit, aber sonst keine Zutaten.
Was macht der da? Haut der sich jetzt vor dem Joggen einen Caipi rein? Oder wird das ein Vitamin-Drink?

Seite 4: Zwei Pärchen amüsieren sich beim Kochabend. Die zwei Kerle mit Dreitage-Bart freuen sich drollig, ihre Augen glänzen, denn es gibt gleich Essen. Die Dame des Hause hat opulent gekocht, ist aber sonst nur verschwommen von hinten zu sehen, während sie die Teller übers Kochfeld reicht.

Seite 6: Eine Mama sitzt mit zwei Kids am Küchentisch, die Kuschel-Teddies helfen mit, den Salat und Blumenkohl zu schnippeln. Ein Mann ist nicht zu sehen.
Mal wieder typisch, der ist bestimmt beim Fußball.

Seite 8: Die Dame des Hauses trägt superhohe Schuhe und nimmt sich ein Glas aus den oberen Fächern. Wieder kein Kerl weit und breit zu sehen.
Und weil die Dame so „groß“ ist, gibt’s die Arbeitsplatte auch 90 cm hoch.

Seite 9: Das Töchterchen packt Geburtstagsgeschenke aus, Mama holt die Muffins aus dem Backofen und freut sich tierisch. Papa is’ schon wieder weg.
Oder war noch nie da. Schwer zu sagen.

Alles in Allem ein vernichtendes Bild für die Herren. Einerseits schäme ich mich, andererseits fühle ich mich auch diskriminiert! Ich bin weit häufiger in der Küche zu sehen und kann auch mehr, als Wein einschenken. Bei mir gibt‘s mindestens noch Käse dazu 😉

Seite 10: Die Krönung! Ein einsamer Typ steht in einer Single-Einbauküche. In Army-Hose und Schlabber-Pulli lehnt er da am Koch-Möbel und schneidet gedankenversunken eine Zucchini (!) 

Hah! Auf der letzten Seite bringen sie nun den Quoten-Mann. Und der ist so anders. So nett. So weich. Kein Alkohol, kein rohes Fleisch. Sondern Zucchini!!!! 

Da bin ich ja ganz von der Rolle.

—> Von der Rolle – Teil 2

18) Küchentisch und Elektrischer Stuhl

Ein neuer Küchentisch soll her. Der alte hat lange treuen Dienst geleistet, aber nun ist auch mal gut. Aus Holz, vier Ecken und maximal 2 Meter lang. Ach so, ausziehbar sollte er auch noch sein. Mehr nicht. Kann doch nicht so schwer sein, oder? Für eine erste Recherche wähle ich mich in ein Möbel-Portal ein.

Ein Klick auf „Esstische“ bringt erfreuliche 436 Esstische zu Tage. Bestens, da sollte sich doch etwas finden lassen. Das wird ein Spaziergang. Ich setze die Filter auf 90-100 cm Breite, maximal 200 cm Länge und das Material auf „Holz“. Die mächtige Zahl 436 schrumpft auf eine kümmerliche 23 herunter. Abzüglich der Tische, die irgendwie metallische und farbige Anteile haben, bleiben noch 13 Modelle. Ziehe ich noch die Tische ab, die nach fränkischer Bauernstube aussehen, überleben gerade mal lächerliche 10 Exemplare. Und da habe ich noch nicht einmal auf Dekor, exakte Maße und Preis eingeschränkt. Kann das sein? Sind unsere Vorstellung so extrem? Das scheint ein größeres Projekt zu werden. Dann wohl doch ab zum Möbel-Markt. 

  • Nicht weit von uns entfernt, fahren wir abends spontan dort vorbei. Der Markt ist riesig, schließt aber bereits in einer Stunde. Nur wenige andere Kunden stehen uns im Weg, es gibt sogar 33% Rabatt. Den würden wir schon gern mitnehmen, wenn es sich machen lässt. Zwei oder drei Tische passen aus der Ferne grob ins Beute-Schema, bei den Details aber fallen sie alle durch. Wir sind frustriert.
  • Wir fahren wenigstens noch „schnell“ zum Möbel-Schweden nebenan, einen Büro-Stuhl fürs Töchterchen suchen. Der Markt hat eine Stunde länger auf und notfalls finden wir dort zum Dinner noch ein paar Schweden-Bouletten. In der Büro-Abteilung finden wir schnell einen Dreh-Stuhl, die Laune steigt sofort wieder. Leider kriegen wir von dem Stuhl ständig eine gewischt. Ein elektrischer Stuhl quasi. Für Kinder. Im Einzelhandel. Die Lust vergeht uns, wir brauchen 20 Minuten, um diesen blau-gelben Press-Span-Tempel wieder zu verlassen
  • Fünfzehn Kilometer stadtauswärts hat man vor ein paar Jahren einen neuen Möbel-Markt auf die Wiese gesetzt. Ein Riesen-Teil. Da muss es unseren Tisch geben. Wo sonst, wenn nicht da? Letztlich standen ein paar Kandidaten dort herum, waren aber auch nicht das Richtige. Manche hatten gigantische Zahlen auf dem Preisschild zu stehen, ander konnte man bis auf 2,80 Meter ausziehen. Was soll ich damit anstellen? Luxus-Tapeten drauf einkleistern? Immerhin gibts für Sohnemann im Erdgeschoss eine Kugel Schoko-Eis. Ausgesprochen lecker ist das die und deutlich günstiger als im Bio-Vegan-Fair-Laktose-Öko-Koscher-Eis-Kaffee bei uns im Kiez.

Bei 80 Millionen Menschen in Deutschland, gibt es doch bestimmt 40 Millionen Haushalte. Angenommen die Hälfte davon besitzt einen Küchentisch. Sind die alle aus Press-Pappe, kreisförmig und quietsch-bunt? Hat schon mal einer Lebenszeit und Auto-Kilometer berechnet, die man auf der Suche nach einem Küchentisch verbrauchen kann? Allgemein denkt man doch immer, in dieser Welt gibt es alles in tausenden Varianten, Farben und Spezifikationen zu haben. 

Da bin ich mir nicht mehr so sicher. 

Wird uns das nur vorgegaukelt? Eine Angebots-Blase. Ist das alles eine Mogel …ähm … Möbel-Packung? 

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