Bei den Diskussionen um Rassismus, Sexismus und Vorurteile (engl. Bias) fragt man sich bestimmt auch mal, wie man bei dem Thema so unterwegs ist. Ich zumindest. Zunächst kommt mir da schnell ein „Ich doch nicht“ in den Kopf, im Alltag ertappe ich mich dann doch ab und zu, nicht ganz frei von solchen Denkmustern zu sein.
Hier ein Beispiel aus meinem Alltag.
Vor dem Supermarkt an der Ecke bittet täglich jemand um Kleingeld. Dabei herrscht wenig Fluktuation, der Platz scheint saisonal erstritten oder „vergeben“ zu sein. Die Menschen, die dort auf ein paar Euro hoffen, bleiben längerfristig und da ich fast täglich in den Laden stolpere, kenne ich ihre Gesichter. Gelegentlich werfe ich eine Münze in einen Becher oder lasse einen Pfandbon da. Mir fällt aber auf, dass ich dabei je nach Nase unterschiedlich spendabel war.
In einem vergangenen Sommer saß ein Junge mit europäischen Wurzeln auf diesem Platz. Nennen wir ihn hier einfach mal „Mike“. Er war blond, hatte einen Hund an seiner Seite. Dieser Mike schien in Berlin gestrandet zu sein.
… was sitzt der hier rum? Ich hab’ den Arsch voll zu tun. Der kann doch arbeiten? Wenn er Geld für einen Hund hat, dann …
Mike wurde irgendwann abgelöst durch einen Afrikaner. Der war groß, stämmig und nun ja halt … dunkel. Der verbrachte einen ganzen Winter dort, stand bei Wind und Wetter vor dem Supermarkt. Nennen wir ihn hier einfach „Kofi“ (um gleich mal das nächste Klischee zu bedienen), bei Kofi ging ich selbstverständlich davon aus, dass er geflohen war.
… aus Afrika, man oh man. Bei dem Scheißwetter. Fernab der Heimat. So ein weiter Weg. Versteht die Sprache nicht, arbeiten darf er nicht. Was soll der hier auch anderes machen …
Aber auch Kofi war dann irgendwann weg. Dann stand eine Weile ein Mann dort, um den alle Passanten einen Bogen machten. Speckiger Mantel, ungepflegte Haare, zotteliger Vollbart, redete mich sich selbst oder mit seinem imaginären Gefährten. Die Finger, die seinen Becher hielten, waren schwarz, nicht weit von ihm stand immer eine Flasche. Welchen Namen geben wir ihm? Tja, da geht‘s schon mal los. Wie heißt „so einer“ denn? Cornelius, Maximilian, Jonathan? Oder Kevin, Randy, Mike? Kommen solche Menschen namenlos auf die Welt?
…ich würd‘ dem ja was geben. Aber dann kauft der davon nur Sprit. Das hilft ihm ja auch nicht aus der Misere, so kommt der auch nicht auf die Beine. Aber ich kann dem doch jetzt auch keinen Prenzlauer-Berg-Öko-Vegan-Bio-Smoothie in die Hand drücken …
Der Mann ohne Namen war Ende 2023 verschwunden. Seitdem sitzt ein junge Frau dort auf den Steinplatten. Rein optisch würde ich ihre Herkunft „irgendwo“ rund um‘s Schwarze Meer vermuten. Sie hatte auch schon mal eine Zeit bei der Sparkasse die Türen aufgehalten. Nennen wir sie hier im Beitrag einfach „Mariana“.
…armes Mädel. Die sollte hier nicht sein, holt sich noch was weg, wenn die da so sitzt. Das kann man doch nicht mit ansehen …
Vier Menschen, die am selben Platz dasselbe tun. Einen Becher halten und auf Kleingeld hoffen.
Nun notiere ich meine Kleingeld-Gaben zwar nicht, aber wenn ich die nach Höhe und Name sortieren müsste, dann ergäbe es wohl folgendes Ranking …
1. Mariana, weil Frau
2. Kofi, weil Afrikaner
3. Mann ohne Namen, weil Mitleid
4. Mike bekam nix, weil faul
… ziemlich sexistisch, rassistisch und vorurteils-beladen …
… ohne auch nur ein Wort mit denen gewechselt zu haben.
Oder?
(Titelbild mit freundlicher Unterstützung von DALL-E)


