301) Kulturelle Aneignung

Eine junge deutsche Musikerin darf auf der Fridays for Future-Demo nicht auftreten, weil sie Dreadlocks trägt? So rauscht das seit Tagen durch die Blätter, Tweeds und Kommentarzeilen. Empörung? Zur recht. Wenn das wirklich so ist, dann ist wohl jemandem die erneuerbare Sicherung durchgeknallt.

Als ich ungefähr in dem Alter war, da waren Dreadlocks ein Zeichen von Offenheit, von Interesse an anderen Kulturen, von links-grüner Progressivität, von Toleranz und der Erkenntnis, dass die Welt nicht an der Grenze des Stadtbezirks endet. Palästinensertücher waren hipp und eine Baskenmütze vom Typ „Che Guevara“ hatte man gefälligst auch im Schrank. Hauptsache keine Bomber-Jacke oder weiße Schnürsenkel in den Martens. Alles vorbei. Denn das nennt sich heute „Kulturelle Aneignung“. Also man raubt quasi Stilmittel einer anderen Kultur und schmückt sich damit zum eigenen Vorteil. Und weil wir nun mal leider käsebleicher Pigmentierung und in Deutschland geboren sind, ist das nun quasi „Rassismus light“? What?

Also die Herren tragen künftig bitteschön einen Kurzhaarschnitt und die Hipster schneiden sich den verlausten Zottel-Bart ab. Schmaler Oberlippenbart ist erlaubt, aber Piercings sind zu entfernen und geweitete Ohrlöcher unverzüglich mit Bauschaum zu verschließen. Die deutschen Mädchen tragen maximal ein oder zwei Zöpfe, alternativ Dutt oder Blumenspange, aber bitte nicht zu Hawaiianisch und schon gar nicht Russisch. Das geht ja nun gar nicht.

Geschnitzte Masken aus Afrika sind von der Wand zu nehmen, mitgebrachte Buddhas und Holzelefanten bitte im Sondermüll zu entsorgen. Deutsche sollten auch keinen Reggae oder Blues mehr singen, die Bollywood-Playlist ist zu löschen, zum Ausgleich wird Heino gestreamt. Wir sollten uns auch nicht mehr am Lasagne-Kochen versuchen und am Veggie-Day besser Sauerkraut statt Falafel essen. Russisch Brot heißt künftig Buchstabengebäck, Döner Kebap wird verboten, denn das ist schließlich eine Deutsche Erfindung und das Madras-Curry beim Inder um die Ecke wird fortan als „Pikantes Hähnchengeschnetzeltes nach Art der heutigen Einwohner:Innen Chennais“ verkauft.

Und wenn uns jemand begegnet, der augenscheinlich nicht von hier „stammt“, dann fragen wir den um Himmels Willen nicht woher er denn kommt. Denn das darf man nicht.

Liebes Organisationskomitee der FFF, ich glaube, das war etwas zuviel des Guten

138) Von der Rolle – Teil 1

Wie soll ich den Beitrag nennen? Vielleicht „Rollenbilder“? Oder „Rollenklischees“? Ach ist ja auch Wurscht, kann ich später immer noch entscheiden.

Sarah von https://mutter-und-sohn.blog hat vor kurzem einem Beitrag über antiquierte Rollenbilder veröffentlicht und wir hatten ein paar Kommentare dazu gewechselt. Am Wochenende drauf fiel mir eine Werbebeilage eines Kücheneinrichters in die Hand.

Ich blätterte und wunderte mich:

Seite 1: Eine Frau sitzt mit hohen Hacken gegenüber dem Induktionskochfeld und zeigt ihre hübschen Zähne, der Mann gegenüber gießt ihr ein Glas Wasser ein.
Die Küche bleibt kalt. Laaaaaaangweilig aber na gut, die Küche kostet schlappe 10.000 EUR, da gibts erst mal für längere Zeit nur Wasser.

Seite 2: Ein Mann schneidet Baguette in Scheiben, ihm gegenüber am Tresen steht sein Kumpel mit einem Glas Rotwein in der Hand.
Eine teure Küche kaufen und dann nur „Brot und Wein“ kredenzen. War ja nicht anders zu erwarten. Typisch Mann.

Seite 3: Ein Mann in frischen Jogging-Klamotten hält vier halbe Limetten über einen Mixer. Weitere Limetten liegen griffbereit, aber sonst keine Zutaten.
Was macht der da? Haut der sich jetzt vor dem Joggen einen Caipi rein? Oder wird das ein Vitamin-Drink?

Seite 4: Zwei Pärchen amüsieren sich beim Kochabend. Die zwei Kerle mit Dreitage-Bart freuen sich drollig, ihre Augen glänzen, denn es gibt gleich Essen. Die Dame des Hause hat opulent gekocht, ist aber sonst nur verschwommen von hinten zu sehen, während sie die Teller übers Kochfeld reicht.

Seite 6: Eine Mama sitzt mit zwei Kids am Küchentisch, die Kuschel-Teddies helfen mit, den Salat und Blumenkohl zu schnippeln. Ein Mann ist nicht zu sehen.
Mal wieder typisch, der ist bestimmt beim Fußball.

Seite 8: Die Dame des Hauses trägt superhohe Schuhe und nimmt sich ein Glas aus den oberen Fächern. Wieder kein Kerl weit und breit zu sehen.
Und weil die Dame so „groß“ ist, gibt’s die Arbeitsplatte auch 90 cm hoch.

Seite 9: Das Töchterchen packt Geburtstagsgeschenke aus, Mama holt die Muffins aus dem Backofen und freut sich tierisch. Papa is’ schon wieder weg.
Oder war noch nie da. Schwer zu sagen.

Alles in Allem ein vernichtendes Bild für die Herren. Einerseits schäme ich mich, andererseits fühle ich mich auch diskriminiert! Ich bin weit häufiger in der Küche zu sehen und kann auch mehr, als Wein einschenken. Bei mir gibt‘s mindestens noch Käse dazu 😉

Seite 10: Die Krönung! Ein einsamer Typ steht in einer Single-Einbauküche. In Army-Hose und Schlabber-Pulli lehnt er da am Koch-Möbel und schneidet gedankenversunken eine Zucchini (!) 

Hah! Auf der letzten Seite bringen sie nun den Quoten-Mann. Und der ist so anders. So nett. So weich. Kein Alkohol, kein rohes Fleisch. Sondern Zucchini!!!! 

Da bin ich ja ganz von der Rolle.

—> Von der Rolle – Teil 2