51) Abwärts – Vol 2

Den ganzen Vormittag schon sitzt Noah im Camper vor seinem Laptop. Bis 16:00 Uhr muss er abgeben und er kämpft immer noch mit demselben Problem. „So wird das wohl nichts“, brummelt er. Da ist eine Blockade im Kopf und er kann sie auf diese Weise nicht durchbrechen.

Also macht er das einzig Vernünftige, nämlich eine kurze Pause. Mal den Kopf durchpusten, eine andere Perspektive einnehmen. Er verrammelt die Tür des Wohnmobils, die Kaffeetasse und ein paar Snacks lässt er auf dem Camping-Tisch unter dem Vordach stehen und macht sich auf zum Strand. Er geht den Weg mindestens einmal am Tag, nichts Besonders also. Zunächst muss er einen Kiefernwald durchqueren, dann über die Dünen kraxeln, hinunter zum Wasser.

Als er durch den Wald schlurft, bemerkt er unzählige Vögel, wie sie scharenweise aus den Baumkronen in die Luft fliegen. Landeinwärts. „Sonderbar, was haben die nur?“, murmelt er. Fliehen die etwa? Fühlen die sich bedroht?

Noah kann die Ursache noch nicht verorten, aber es entsteht plötzlich weitere Unruhe im Wald. Hasen hoppeln über den Weg, Käfer kreuzen, Eichhörnchen hüpfen ihm entgegen und eilen vorbei in Richtung Camper. „Was ist hier los?“, brabbelt er und läuft weiter geradeaus. Als er den Wald passiert hat, muss er nur noch durch den dicken Sand über die Dünen stapfen.

Aber noch bevor er die Anhöhe erreicht, bleibt er abrupt stehen und starrt angsterfüllt in die Ferne. Scheiße! Was ist das? Eine gigantische Wand baut sich hinter der Düne auf. Sofort werden Fluchtinstinkte in ihm aktiv. Ist das etwa … eine Welle? So ein Tsunami sogar? Ach du lieber …

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Sollte er besser zurück? Weg vom Wasser? Das Weite suchen? Es den Eichhörnchen und Vögeln gleich tun? Aber die Neugier ist größer, also kämpft er sich weiter den Hang hoch, nur um zu wissen, was da wohl auf ihn zurolle. Mit jedem Schritt überschlagen sich seine Gedanken.

Geht es nun endgültig abwärts? Ist das sein Ende? Sollte er nicht sofort umkehren und um sein Leben rennen? Aber dann würde ihn die Welle von hinten erwischen, nein auf keinen Fall! Wenn das sein Ende ist, dann will er es auch sehen. Während der nächsten Schritte, schließt er mit sich und der Welt ab. Es ist vorbei. Es ist ok. Schluss. Noch ein paar Sekunden und dann … 

Kurz bevor er den Scheitel der Düne erreichte, veränderte sich das Bild.

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Das Meer liegt dunkelblau an seinem Platz. Die Todeswelle entpuppt sich als dunkle Wolkenfront. Erleichtert atmet er auf. „Alles eine Frage der Perspektive“, murmelt er. In dem Moment schießt ihm eine Idee in den Kopf, wie er das Problem am Laptop lösen könnte. Er rennt zurück zum Camper, spricht dabei den Gedanken immer wieder laut aus, nur um ihn nicht zu verlieren. Und wieder kommen ihm die Eichhörnchen auf dem Weg entgegen. Nicht mehr in Eile, eher zufrieden und satt wirken sie. Er ignoriert sie und strebt weiter zurück.

Am Camper angekommen, steckt Noah den Schlüssel ins Türschloss und wirft einen Blick auf den Camping-Tisch. Die Erdnuss-Tüte ist zerfetzt und auch die Kekse sind aufgerissen. Überall liegt Folie und Papier auf dem Rasen, der Inhalt der Packungen ist verschwunden. „Wer hat die nur …?“ , dann begriff er langsam und schmunzelte. 

„Alles nur eine Frage der Perspektive, nicht war“?
„Danke, ihr Eichhörnchen“. 

Er setzte sich wieder an den Rechner, um 15:45 Uhr gibt er ab.

Dreimal brummt das Telefon und rutscht dann von der Tischkante. Er hebt es vom Boden auf steigt in einen Chat mit Yumi ein.

Yumi: Na, wie ging es heute?
Noah: Abwärts …

Yumi: Und nun?
Noah: Aufwärts …

Yumi: Kapier‘ ich nich‘
Noah: Die Nuss wurde geknackt 😉

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(C) Bilder mit freundlicher Genehmigung von Ostseehorst.
Danke

17) Abwärts – Vol 1

Als Noah den Rasenmäher übers Gelände schob, dachte er wieder einmal über die Veränderungen nach, die er dort in letzter Zeit feststellte.

„Man, jetzt gibt’s hier auch schon so kahle Stellen, das war doch früher nicht so. Es war eher moosig und feucht, das Grundwasser stand sehr hoch. Das Gras verschwindet nun zunehmend, stattdessen wuchert Wein und der Bambus treibt in alle Richtungen.

Und die Wurzeln überall, die jetzt immer mehr aus dem Boden heraustreten, die waren doch vor ein paar Jahren auch noch nicht zu sehen. Hebt irgendetwas die Bäume an oder verschwindet einfach immer mehr Boden?

Auch die Senken, diese Vertiefungen hier und da. Die werden auch immer mehr. Wo ist nur all das Material hin? Was ist hier nur los?“

Mit jedem weiteren Schritt, mit jedem Quadratmeter gemähtem Rasen, versucht sich Noah einen Reim auf die Entwicklungen zu machen.

„Ist es die Globale Erwärmung, die zunehmende Versteppung, von der man so liest? Wird hier letztlich alles versanden, die Sahel-Zone bis an den Berliner Ring heranreichen?

Sind es Ameisen, Termiten, Schnecken oder Käfer, die uns den Boden wegfressen? Vielleicht ein gigantischer Super-Wurm. So wie in dem Film, wo Kevin Bacon und Fred Ward gegen Raketen-Würmer kämpfen?

Wird das Grundwasser von der Auto-Fabrik abgezweigt, die in der Nähe gebaut wird? Steckt eventuell der Nachbar dahinter, der schon immer scharf auf das Grundstück war? Oder ist es gar eine gigantische Verschwörung? Man hört ja so einiges.“

Aber er schüttelt den Kopf, winkt ab und findet einen ausreichenden Grund.

„Bestimmt ist es einfach der normale Lauf der Dinge. Landmassen bewegen sich, Erde wird verdichtet oder vom Wind abgetragen. Ja, das wird es vermutlich sein. War schon immer so. Kein Grund zur Panik.“

Mit dieser Erklärung macht sich Noah daran, sein Abendessen vorzubereiten. Spaghetti Bolognese. Ideal fürs Wochenendhäuschen. Er erhitzt eine Pfanne und verteilt Oliven-Öl im Kreis. Kurz darauf beobachtet er verdutzt, wie sich das Öl in einer Ecke der Pfanne sammelt.

„Was ist hier bloß los? Mhm, vermutlich nur die Küchenmöbel, die nicht richtig austariert sind. Aber das war sonst nicht so.“

Er tut Nudeln mit viel Sauce auf einen tiefen Teller und setzt sich mit einem Glas Wein an den Tisch vor der Hütte. Kaum Platz genommen, rutschen die Nudeln samt Sauce auf die eine Seite des Tellers, so dass er den Teller-Boden sehen kann.

„Was zum Geier … ? Na ja, bestimmt steht der Tisch schief. Muss ja wohl. Was sonst.“

Er nimmt den Teller auf den Schoß, aber auch dadurch ändert sich nichts. Die Nudeln bleiben auf der einen Hälfte des Tellers.

„Wie geht das? Na dann … müssen eben die Steinplatten hier schief sein. Logisch.“

Er dreht den Teller um 180 Grad, um zu sehen was geschieht. Nudeln und Sauce rutschten auf die gegenüber liegende Seite des Tellers.

„Ok, genug Wein für heute, ich gehe ins Bett.“

Kaum hat er sich langgemacht, nimmt sein inneres Gleichgewicht ein Gefälle war.

„Hey, sag mal spinn ich? Ach, vermutlich ist wieder das Lattenrost von der Halterung gerutscht.“

Noah wirft einen Blick unter die Matratze, aber alles ist an seinem Platz. Er legt sich wieder hin und platziert sein Handy für die Nacht auf der Bettkannte. Wie immer.

Dreimal brummt das Telefon und rutscht dann von der Bettkante. Er hebt es von der Erde auf steigt in einen Chat mit Yumi ein.

Yumi: Na, was geht?
Noah: Es geht abwärts!

Yumi: Du Scherzkeks 😉
Noah: Ich scherze nicht!

Yumi: Sehen wir uns morgen?
Noah: Bin nich‘ sicher…

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