Bevor es weiter ins Jahr 1990 geht, will ich auf jeden Fall noch zwei, drei Geschichten loswerden, von der die folgende sogar in einer Zeitung dokumentiert ist.
Anfang Oktober 1989 wurde Gorbatschow zum Staatsbesuch in Ost-Berlin erwartete, das 40-jährige Bestehen der DDR sollte gebührend gefeiert werden. Dass das für Honecker eine ziemlich peinliche Nummer werden würde, das wusste der zu dem Zeitpunkt der Geschichte wohl noch nicht. Im Volksmund wurde der Michael Gorbatschow bereits liebevoll „Gorbi“ genannt und versprach, Öffnung und Reform. Perestroika und Glasnost. Da nun so exklusiver Staatsbesuch anstand, wurden wir von der Schule zum Winken verdonnert.
Wie üblich wurde erwartet, entsprechende „Winkelemente“ mitzuführen (so etwas wie Fahnen, Blumen, Wimpel, Schleifen … Zeugs womit man halt winken kann). Und da mein Freund und ich darauf überhaupt keine Lust hatten, kamen wir auf eine andere kreative Idee. Wir schmückten unsere Basecaps (keine Ahnung, woher wir die damals hatten) mit dem Namen „Michael Gorbatschows“. Einer Michael, der andere Gorbatschow. Die schnitten wir aus der Zeitung aus und befestigten sie mit Sicherheitsnadeln am Schirm der Mütze. Zusätzlich fertigten wir einen Sticker, dazu nahmen wir einen anderen Sticker, klebten ein Foto von Gorbi drauf und verpackten das ganze wasserdicht mit Klebeband.
Leider war mein Basecap nun auch noch knallrot, aber ich war ja froh, in 1989 überhaupt eins zu haben. Damit stiefelten wir nun zu unserem zugewiesenen Stellplatz auf dem Mittelstreifen der Schönhauser Allee, unterhalb des U-Bahn-Viadukts, gegenüber dem Kino Colloseum. Da kamen Fotografen auf uns zu und machten ein Bild. Zum Glück standen wir richtig, links Michael, rechts Gorbatschow. Ob sie uns auch interviewten, weiß ich heute nicht mehr. Ich glaube nein. Das war ein Moment, wo wir befürchteten, dieser Kopfschmuck könnte Konsequenzen haben. Denn schließlich waren Staat und Ordnungsorgane ja noch voll intakt.
So standen wir da mit den Füßen an der Bordsteinkante und blickten aufgeregt nach rechts, aus der Richtung die Kolonne ja kommen müsste. Heute vermute ich, dass sie aus Pankow, Schloss Schönhausen kamen, dem damaligen Gästehaus der DDR-Regierung.
Irgendwann kam dann Blaulicht und hinten dran schwarze Limousinen mit halb geöffneten Fenstern. Es folgte das Quieken der Schüler, Klatschen, Beifall und natürlich wurde nach „Gorbiiiiiiiii“ gerufen.
Im Sommer 2024, da sah ich mal den Foto-Nachlass meiner verstorbenen Großmutter durch und fand den Zeitungsausschnitt mit dem Foto von uns beiden, schwarz-weiß natürlich. Wir beide, mit unseren Basecaps, schauten recht selbstbewusst, aber auch irgendwie vorsichtig. Am Reißverschluss meiner Jacke hatte ich mir sogar ein Kugelschreiber befestigt, vielleicht hatte ich mir Hoffnung auf ein Autogramm gemacht, wer weiß.
Auf der Rückseite hatte die Zeitung notiert, was am 11., 12. und 13. November 1989 geschehen ist, es muss also eine Art Rückblick gewesen sein, wo unser Foto abgedruckt wurde.
<— 5) Akteneinsicht 1989: Mit Udo zum Fahnenappell
—> 7) Akteneinsicht 1989: Ausflug nach West-Berlin
zwei frühere Beiträge mit Gastauftritt Gorbatschow
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„Wer zu spaet kommt den bestraft das Leben“ soll Gorbi damals gesagt haben. Ich haette dem Erich gesagt:“Mensch Erich geht endlich in Rente du bist alt genug dafuer.“ Das war er sicherlich aber leider nicht vernuenftig genug zu begreifen dass die Bevoelkerung die standige Bevormundung und Beaufsichtigung satt hatte. Gorbi hat damals sicherlich Geschichte geschrieben, denn Perestroika und Glasnost wurden zum Begriff. Leider haben diese Begriffe weder in Deutschland noch in Russland zum Durchbruch gefuehrt denn die Demokratie ist weiterhin verbesserungswuerdig.
Ja, da sprichst du einen guten Punkt an. Perestroika und Glasnost werden als Trend-Begriffe der späten Achtziger Jahre geführt, wären aber heute mehr denn je angebracht, in einer Zeit wo sich wieder alles mehr zu verschließen scheint und rückwärts zu rollen scheint
Ich wollte ja nach der Physiotherapeutenausbildung eigentlich Medizinpädagogin werden. Zum Glück hatte ich eine tolle Klassenlehrerin, die mich zu sich nach Hause bestellte. Dort sagte sie: „Du stehst dann vor deiner Klasse und sagst ihnen, dass sich alle am 1. Mai um 9.00 Uhr zur Demo treffen!“ – Darauf fing ich an zu lachen und meinte: „Nie im Leben, ich war bisher vielleicht ein- oder zweimal bei so einer Veranstaltung, da rufe ich doch nicht meine Klasse dazu auf!“
Und kurz danach hatte ich eingesehen, dass ich in der DDR nicht Lehrerin oder Rechtsanwältin oder ähnliches werden konnte. Meine spätere Abiturbeurteilung, die nur für „interne Kreise“ gedacht war, zeigt deutlich, dass die mich nicht als vertrauenswürdig eingeschätzt haben.
Aha, es ist so eine warst du. Ei, Ei, Ei