59) Postkarte vom Chandni Chowk

Heute probiere ich mal etwas Neues aus. Ich verschicke rückwirkend eine Postkarte von einem Ort, den es heute nicht mehr gibt. Zumindest nicht so, wie er Jahrzehnte war und so wie er in zig Reiseführer als „must visit“ eines jeden Delhi-Besuchers einzog.

Aber der Reihe nach. Neulich war ich beim Inder um die Ecke, der Laden nennt sich Chandni (Mondlicht). Und als das Curry weggeputzt war und im Hindergrund Boolywood-Musik schmetterte, drifteten meine Gedanken zum Chandni Chowk in Delhi ab. Einer der verrücktesten Straßen der Welt und gleichnamigen Viertel drumherum. Zu Hause angekommen bemühte ich die Datenkrake nach ein paar aktuellen Bildern von dort und traute meinen Augen nicht. Sie haben es wirklich getan. Sie haben die Chandni Chowk Road, eine der abgefahrensten Orte, in eine Fußgänger-Zone verwandelt. Ich rede hier nicht von München, Stuttgart oder Leipzig, sondern von Delhi. Old-Delhi.

In 2015 zum Beispiel war ich vor Ort und da war alles noch ganz „normal“. Das Gewusel in der Chandni Chowk Road, lässt sich ohne Geräusche, Gerüche und Temperatur kaum beschreiben. Es ist proppenvoll. Menschen, Hunde, Kühe, Affen und Krähen wuseln durcheinander. Genauso wie Fahrrad-Rickshaws, Auto-Rickshaws (a.k.a. Tuk Tuk) Mopeds, Fahrräder und Autos. Ständig hupt irgendwer und Musik tönt aus den Geschäften. In den Shops wird alles Mögliche verkauft, Leder, Gewürze, Musik, Technik. An Fußweg und Straßenrand macht jeder seine Geschäfte, da wird gebettelt, der nächste macht ein Nickerchen, manch einer wacht nie wieder auf, Tagelöhner bieten ihre Dienste an, Hunde liegen mittenmang und es besteht die sehr große Wahrscheinlichkeit, dass man in eine tiefe Pfütze von … man will es nicht wissen … tritt. Biegt man in den Gassen zwei, drei mal ab, fühlt man sich schnell verloren, biegt man zu oft ab, ist man als Bleichgesicht auf einmal ganz allein und fragt sich, ob das nun die beste Idee war. Die Bausubstanz rundherum ist marode, die Elektroleitung hängen kreuz und quer über die Straße, Werbetafeln kaschieren den Verfall. Hier ein paar Bilder aus 2015.


In 2019 war der Anblick schon anders. Natürlich wollte immer noch jeder Geschäfte machen und  es gab junge Typen, die meinten, wir sollen da bloß nicht alleine rein, es sei viel zu gefährlich. Er könne uns aber führen. Was für ein Zufall. Ich lehnte dankend ab. Es war immer noch riesiges Gewusel, aber es gab mehr Freiräume und erste Baustellen. Ich vermutete zunächst Kanalarbeiten oder so etwas.

Dann trafen wir auf diese Informationstafel, sie deutete schon an, dass hier ganz große Dinge geplant sind. Aber so etwas wird dort häufig geplant und dann dauert es weitere 100 Jahre, bis das Vorhaben abgeschlossen ist.

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Aber nun haben sie echt Ernst gemacht. Sie haben den Verkehr anscheinend verbannt und aus rotem Sandstein eine Fußgänger-Zone gebaut. Da wo früher ein „Grün“streifen mit Zaun war, stehen jetzt Pflanzenkübel und Poller. Rein optisch gesehen, passt das jetzt besser mit dem Red Fort zusammen, welches gegenüber steht und mit großer Indien-Fahne auf sich aufmerksam macht.

Laut >Times of India vom 28. Juli 2020 wartet der neue Chandni Chowk mit folgenden Highlights auf:

  • 1) All the electricity wires will be moved underground, which is commendable.
  • 2) The 1.3 km stretch will be a non-motorised zone from 9 AM to 9 PM.
  • 3) The decoration work will be done keeping Mughal architecture in mind.
  • 4) To give it a Mughal-era feel, the place will be decorated with 175 red sandstone planters.
  • 5) The new Chandni Chowk will also have 250 moulsari trees.
  • 6) There will be LED lighting.
  • 7) After the completion of revamp work, Chandni Chowk will become the first region in Delhi, restricted only for pedestrians, cycle rickshaws and e-rickshaws.
  • 8) To accommodate 2300 cars, a multilevel parking facility is being constructed by the North MCD near Gandhi Maidan.
  • 9) Chandni Chowk makeover project is costing around 90 crore.
  • 10) Rehabilitation on ancient sewer lines is also a part of the project.

Hier ein paar >Bilder bei Google, wie es da wohl heute aussieht. Und hier dazu noch >ein Video bei http://www.thehindu.com

Wirklich beachtlich und Respekt, dass sie das durchgezogen haben.

Aber ich glaube, sie haben den Chandni Chowk kaputt gemacht …

—> Weitere Postkarten gibt‘s hier

14) Postkarte aus Delhi

Bevor wir Delhi wieder verlassen, möchte ich schnell noch eine Postkarte verschicken. Wie immer bei meinen Postkarten, soll es kurz und knackig sein. Reiseführer gibt‘s schon genug. Diesmal war ich mit Familie hier. Wir wollten einen guten Mix erleben und die Kids dabei nicht überfordern. Ein kurzer Abriß der letzten Tage also …

Sonntag: 

  • Rundgang am Connaught Place zum Ankommen und Orientieren
  • Jantar Mantar (Astronomische Sternwarte nahe Connaught Place)
  • Nirula Bazar (Indian Shopping auf mehreren Etagen)
  • Lodi Garden (Schöne Grünanlage, Grabstätten, Spielplätze, Teich) —> folgendes Bild

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Montag:

  • Jamma Mashid (drittgrößte Moschee der Welt in Old Delhi)
  • Raj Gath (Verbrennungsstätte von M. Ghandi und anderer Politiker)
  • Humayun’s Toomb (Gigantisches Grabmal in schöner Grün-Anlage) —> folgendes Bild

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  • India Gate (Großes Tor zu Ehren Indischer Soldaten, die im 1. WK ihr Leben verloren) —> folgendes Bild

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  • Raj Path (Regierungsviertel)
  • Chanakyapuri (Diplomatenviertel)
  • Shantipath (Botschaftsviertel)
  • Qutub Minar (75m hohes Minaret) —> folgendes Bild

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  • Sikh Tempel (Tempel-Anlage incl. Großküche für 10.000-15.000 kostenlose Essen pro Tag) —> folgendes Bild

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Mittwoch

  • Fahrt nach Madanpur Khadar (Siedlung für ehemaliges Slum-Bewohner)
    • Besuch von Patenkind A. und ihrer Familie, begleitet von NGO-Mitarbeitern
    • Besuch einer Jungs-Klasse zum Thema „Safety for Girls“
    • Besuch einer Mädchen-Klasse zum Thema „Computer + Internet“
    • Besuch einer Versorgungsstätte für Behinderte Kinder und deren Eltern
  • Rundgang Connaught Place, Palika Bazar
  • Jan Path Bawan und Jan Path

Donnerstag

  • Red Fort (berühmte Festungsanlage in Old Delhi) —> folgendes Bild

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  • Chadni Chowk (quirlige Straße in Old Delhi)
    —> folgendes Bild, leider kann mir hier keine Geräusche, Gerüche und Flüssigkeiten hochladen

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  • Ghandi Smriti f.k.a. Birla House (Gelände, auf dem Ghandi seine letzten 144 Tage verbrachte und erschossen wurde), ein stiller Ort zum Nachdenken!!
    —> folgendes Bild

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Und was ist mit Skurrilitäten?

Die gibt es hier in Delhi natürlich zu Hauf, die kann ich gar nicht alle aufschreiben. Ich kann nur jedem raten, den Chandni Chowk einmal auf und ab zu gehen. Dann hat man quasi das „best of“ der verwirrendsten Eindrücke erlebt. Genug brain food.

Stadtplanung:

Auch die Stadtplaner von Delhi haben sich etwas Futuristisches einfallen lassen. Sie wollen den Chandni Chowk in eine begrünte Fußgänger-Anlage verwandeln!?

So informiert zumindest —> folgendes Schild

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Also ehrlich, liebe Leser, wenn das so kommt, fresse ich einen indischen Besen und Delhi ist um ein Kultur-Gut (wenn auch ein sehr dreckiges) beraubt!

Verständigung:

Das Indische English ist reich an Missverständnissen, hier nur ein paar Beispiele.

  • Sagt jemand im Hotel „Pös Por“, heißt das nicht „Passport“ sondern „First Flor“.
  • Spricht ein Guide von einer „Muschi“, meint er nicht seine Katze 😉 sondern eine Moschee.
  • Erwähnt der Fahrer einen „Missing Helmut“, ist nicht vom verlorenen Onkel in Deutschland die Rede, sondern von der fehlenden Helmpflicht…also von „missing helmet“

Frühere Postkarten aus Indien: