267) Ich bin Schnitt

Das Durchschnittsalter in Deutschland liegt bei 44,5 Jahren, ein deutscher Mann ist im Durchschnitt 1,80 m groß und die Durchschnittsgröße für Herrenschuhe liegt bei 44. Ich habe es geahnt, ich bin voll im Schnitt! Leicht drüber sogar. Ich bin der John Doe der Deutschen. Der Erik Mustermann, in kalk-weiß und halbalt. Der Herr Schmitt mit dem Warenkorb unterm Arm. Er entspricht dem absoluten Mittelmaß, schwimmt in der lauwarmen Restesuppe der Statistik, isst gern mal Currywurst mit Pommes, fährt typischerweise Golf und baut überall Zäune. 

Guten Tag Herr Doktor, mein Name ist Schmitt. Ich glaub’, ich habe Schnitt.

Da könnte man sagen, Herzlichen Glückwunsch, sei doch froh, für dich wird immer gesorgt sein. Du stehst im Mittelpunkt. Wissenschaft, Forschung und Medizin sind auf die breite Masse ausgelegt, es wird dir nie an etwas fehlen. Auch beim Konsum bist du die Zielgruppe. Eher mangelt es an Schuhen der Größe 50, als an T-Shirts in M. Die Regale sind rappelvoll. In der Politik bist du meistens in der Mehrheit, an dich wird sozusagen immer irgendwie gedacht, wenn gesellschaftliche Entscheidungen anstehen. Mach es dir bequem, du musst nicht viel machen, genieß dein Leben im statistischen Einheitsbrei!

Da könnte man aber auch sagen, du arme Sau, du findest einfach nicht statt. In Nachrichten, Medien und Diskussionen bist du versteckt im größten Tortenteil. Nicht mal ein winziger Datenpunkt von dir ist sichtbar. In der Alterspyramide bist du ungefähr dort, wo die Pyramide langsam Hüftpolster ansetzt. Aufmerksamkeit bekommen nur die „unter“ oder „über“ dem Schnitt und „links“ oder „rechts“ von der Mitte, denn da gibt es immer Handlungsbedarf, da muss dann immer was erkämpft, da müssen Zeichen gesetzt und Grenzen verschoben werden. Da sind die Scheinwerfer und Mikrofone, nicht bei dir! Wenn du wahrgenommen werden willst, musst du dir also irgendein Merkmal zulegen, du musst dich unique machen, laut, schrill und anders sein. Färb‘ dir die Haare rot, entwickle ein Narrativ, häng‘ dir ein Kilo Metall ins Gesicht, tätowiere dir eine Weltkarte auf die Glatze oder laufe von nun an auf den Händen und mach‘ möglichst viele Selfies davon.

So wirst du sichtbar Herr Schmitt, so kommst du raus aus dem Schnitt 😉 

260) Framing

Es wird viel diskutiert über den Einfluss von „den Medien“ und den häufig aus dem Zusammenhang gerissenen, stark verkürzten Wiedergaben von Statements öffentlicher Personen. Da werden dann zusätzlich noch Umfragen zitiert, Statistiken und wissenschaftliche Untersuchungen herangezogen, die man als „Otto Normalverbraucher“ kaum nachprüfen kann. Und fertig ist „die Nachricht“ und eine nette Geschichte drumherum.

Ich will mit dem Beitrag heute gar keine Mega-Diskussion starten, ganz und gar nicht. Stattdessen möchte ich nur ein völlig harmloses Beispiel aus der Berliner Morgenpost (27.11.2021) bringen. Völlig unpolitisch und Corona-frei kommt die Nachricht daher, zeigt schnell die Diskrepanz zwischen Überschrift und Inhalt. Und sie macht sensibel darüber nachzudenken, was wir lesen, wie wir die Informationen aufnehmen und welche Thesen im Kopf letztlich hängen bleiben. Ob der Text nun Substanz hat oder nicht.

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Und gemerkt?

Zunächst kommt eine saloppe Headline, die lädt zum Verweilen ein und provoziert den Leser etwas. Dann folgt textliche Spachtelmasse, gefolgt von etwas Datensalat, um den Beitrag zu untermauern. 2.000 Führungskräfte, 11 Länder … LinkedIn … ui ui ui … mein lieber Scholli … da muss ja was dran sein.

Da „befürchten“ also 37% der Chefs „negative Auswirkungen“. Sind das die deutschen Chefs? Und welche Auswirkungen denn? Auf was? Und der „Durchschnitt liegt bei 30%“. Sind das die anderen 10 Länder? Also sind die Deutschen 7% skeptischer oder verstehe ich das falsch? Das hätte ich auch vorhersagen können, ohne 2.000 Chefs zu nerven, denn der Deutsche ist von Hause aus mehr Schisshase und Bundesbedenkenträger

Und überhaupt, was hat das alles mit der Headline zu tun? Wurde in der Umfrage überhaupt nach Vertrauen und Bummelei gefragt oder ist das nur eine Behauptung des Verfassers. Wir wissen es nicht und ich verstehe auch, dass man in der Kürze nicht die ganze Umfrage abdrucken kann. Aber genauso, hätte man den Artikel auch weglassen können. Denn er hinterlässt keinen Wert, sondern lässt mich nach knapp zwei Jahren Dauerhomeoffice und Milliardengewinnen in der Branche nur die Augen und den Mausarm reiben.

Und wieso können sich 2.000 Chefs eigentlich mit so einem Blödsinn beschäftigen? Oder meint die Headline gar nicht „ihre Beschäftigten“, sondern vielleicht …?

Ei, ei, ei … ich ahne.