269) Digitales Lernen 1 – Eine Bestandsaufnahme

Schon wieder sitzen wir im Distanzunterricht. Nein, nicht wegen Corona, sondern weil es in der Schule gebrannt hat und bis auf Weiteres dort nicht unterrichtet wird. So etwas kann man schlecht vorhersehen, genauso wie die Pandemie, heißt es da schnell. Das stimmt schon, aber man kann sich darauf vorbereiten, seine Hausaufgaben machen.

Aber schon wieder läuft der Distanz-„Unterricht“, extrem schleppend an. Wieder finden Videokonferenzen extrem selten oder gar nicht statt, wieder tröpfeln Aufgaben sehr unsortiert über die Lernplattform zu den Kindern, wieder sind Abgabetermine schwer zu erkennen, wieder führt man parallel Listen, um nicht den Überblick zu verlieren. Für Kinder und Eltern eine Zumutung.

Ich habe schon in >Corona-Lektion 17, >Corona-Lektion 77 und >Corona-Lektion 79 meinen Frust dazu abgelassen.

Diesmal will ich aber gar nicht so sehr schimpfen, sondern offen drüber nachdenken und diskutieren. Ich kann dabei nur aus der Erfahrung mit zwei Gymnasien und einer Grundschule in Berlin sprechen und habe auch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen. Ich bin kein Bildungsexperte, arbeite aber seit Jahren in virtueller Umgebung, mit viel Distanz, sowohl räumlich, sprachlich und kulturell. Leser oder Leserinnen arbeiten vielleicht selber an einer Schule oder kennen sich in der Thematik besser aus. Fühlt euch frei, zu kommentieren oder zu korrigieren.

In dem heutigen Beitrag will ich etwas über die aktuelle Situation schreiben, wie ich sie so wahrnehme. In einem zweiten Beitrag dann über mögliche Ursachen und Hindernisse nachdenken, in vielleicht einem dritten Beitrag mögliche Ideen einbringen. Mal sehen, ich will mich da noch nicht festlegen.

Bestandsaufnahme:

Das Haupt-Problem scheint mir zu sein, dass man das Digitale Lernen von zu Hause überhaupt nicht haben, ja nicht mal denken, will. Schon beim Begriff Homeschooling schrillten die Alarmglocken, weil Homeschooling (also Hausunterricht) eine besondere, aber möglich Form von Unterricht durch Privat-Lehrer oder Eltern ist (siehe Wiki) weil es an einem Ort z.B. keine Schule mit deutschem Lehrplan gibt. Dann wurde hastig der Begriff Distanzunterricht entwickelt, aber nur, um die geltende Schulpflicht zu unterstreichen und die Lehrkräfte offiziell in Verantwortung zu haben, statt Eltern oder eben Privatlehrer in der Ferne. Dass Unterricht in häuslicher Umgebung kein Dauerzustand sein soll, ist glaube ich jedem klar, aber deshalb die Option komplett zu ignorieren oder zu verschleppen, ist aus meiner Sicht der falsche Weg.

Und weil das Digitale Lernen scheinbar nicht gewollt ist, haben auch die Lehrkräfte einerseits wenig Rückendeckung, neue Lernmethoden zu probieren, aber auch wenig Motivation sich dieser Herausforderung zu stellen. Nicht falsch verstehen, es gibt Lehrkräfte die sind da super-engagiert, ich kenne aber auch genügend, die bei dem Thema gern den Kopf einziehen. Als ich Anfang November 2021 in einer Elternversammlung saß und dort die Frage von Eltern kam, wie man sich denn auf einen  möglichen weiteren Lockdown vorbereitet, kam nur Achselzucken und eine Antwort á la „Wir denken nicht über solche Eventualitäten nach, stattdessen konzentrieren wir uns lieber auf die Vermittlung von Stoff, so lange es geht“. Das klingt im ersten Schritt logisch, ist aber exakt die Haltung, die uns in die Corona-Misere geführt hat. Auch da wusste man vorher, dass es Pandemien geben wird. Ähnlich bei der jüngsten Wetter-Katastrophe mit vielen Toten und gigantischen Schäden im Westen Deutschlands. Auch da war erkennbar, dass solche Unglücke passieren werden, dass Häuser an gefährlichen Stellen stehen, weil Flüsse zu stark eingeengt wurden etc. Aber dann begräbt man die Toten und bebaut das Gebiet wieder, weil es ja ein „einmaliges Ereignis“ war. Aber ich schweife ab.

Wenn Unterricht vor Ort nicht funktioniert, kann das zum Beispiel wegen einer Pandemie, aber auch wegen eines Brandschaden oder Rohrbruchs sein. Es können aber auch gewöhnlichere Ereignisse sein. Lehrkräfte fallen mal aus oder müssen auf Weiterbildung, es gibt Bauarbeiten im Gebäude, der Nahverkehr streikt, es gibt Unwetter oder Hitzewellen. Und leider gibt es auch ganz schlimme Anlässe wie z.B. Terror-Anschläge und Amokläufe.

Aber schauen wir nicht nur auf die Einmal-Ereignisse, sondern auch auf alle anderen Gründe, warum Schulen nicht begehbar oder schwer erreichbar sind. Denken wir an den ländlichen Raum, wo zwischen Wohnsitz und Schule täglich viele Kilometer zu fahren sind, denken wir an gehbehinderte oder sonstig eingeschränkte Kinder, oder Kids die für Wochen ans Bett gefesselt sind, weil sie sich ein Bein gebrochen haben. Und denken wir bitte auch an die banale Erkältungswelle, wo es eigentlich vernünftig wäre, nur mal ein paar Tage Abstand zu halten. Und da haben wir noch gar nicht über Reduzierung von Verkehr und Schulbussen gesprochen oder von der Frage, warum Kinder eigentlich jeden Tag um 06:30 Uhr aufstehen müssen.

Warum reite ich so lange auf all diese Gründen herum? Eigentlich nur, um deutlich zu machen, dass es diverse gute Gründe gibt, sich dem Thema zu stellen. Wie auch an anderen Stellen, hat Corona die Mängel hier „endlich“ sichtbar gemacht, Corona ist aber nicht der Grund für Distanzunterricht und man soll bitte nicht so tun, als kämen wir schon irgendwie durch die Pandemie und dann ist alles wieder gut. Nichts ist gut.

Denn immer wenn ein solche Situation auftritt, und ich glaube künftig häufiger, dann entsteht eine planlose Hektik, weil durch dieses „unvorhersehbare“ Ereignis der Unterricht spontan „irgendwie“ ins Netz verlagert werden muss. Das erzeugt extreme Reibung, vertrödelt wertvolle Zeit und sorgt für zahlreiche Konflikte zu Hause, die eigentlich überhaupt nicht sein müssten, wenn man Schule komplett digitalisieren würde.

Ich meine explizit nicht die Abschaffung von Präsenzunterricht, ich meine eher, den Lernstoff komplett digital vorzuhalten und so aus der Schule oder aus der Distanz abrufbar zu haben. Dann wäre es völlig egal, warum das Schulgebäude nicht betreten werden kann und der Unterricht kann in wenigen Stunden woanders hinverlagert werden. Wir dürfen nicht analogen Unterricht planen und ihn dann kräftezehrend, zeitweise digitalisieren. Wir müssen grundsätzlich digitalen Unterricht planen, selbst wenn ein Großteil des Jahres Präsenzunterricht herrscht. Nur so kann es gehen. Nur so werden wir flexibel, agil und resilient. Nur so kann Inklusion von Benachteiligten funktionieren, nur so kann auch das Bildungswesen einen Beitrag zur Verkehrsreduzierung leisten.

Fazit für heute:

Warum tut man sich in Deutschland nach zwei Jahren immer noch so schwer?

Darüber will ich im nächsten Beitrag nachdenken.

Die anderen beiden Beiträge der Reihe:

271) Digitales Lernen 3 – Ein paar Ideen

Mit >Beitrag 1 der Reihe habe ich die Situation zum Digitalen Lernen an unseren Schulen aufgenommen, in >Beitrag 2 dann überlegt, wo eigentlich das Problem liegt. Wer beide noch nicht…

308) Digitales Lernen 4 – Konzepte

Nach dem ich den Beitrag >Digitales Lernen – Teil 3 zu Beginn des Jahres veröffentlicht hatte, begab ich mich auf Netz-Recherche. Ich wollte wissen, welche Maßnahmen dazu so in der…

15 Kommentare zu „269) Digitales Lernen 1 – Eine Bestandsaufnahme

  1. Ich persönlich glaube, es hängt vor allem von der Motivation der Lehrer ab. Ich kenne Lehrer, die einfach auf Online Unterricht umgestiegen sind und siehe da, es hat funktioniert. Leider gibt es viel zu viele Lehrer, denen jede Änderung zu viel ist und die finden tausend Gründe, warum es online nicht geht.

  2. Da scheint Indien tatsächlich flexibler und professioneller zu reagieren. Bei uns sind die Schulen ja auch fast seit 2 Jahren zu. Neue Restriktionen in vielen Bundesstaaten schließen die Schulen bereits wieder. In Tamil Nadu von der 1-8 Klasse. Aber da die Fallzahlen nun auch hier nach oben ausschlagen, ist es wohl nur eine Frage der Zeit bis auch die oberen Klassen wieder auf online umstellen. Ich denke auch, dass es vorwiegend ein Problem der einzelnen Lehrer ist. Auch ich habe mich erst schwer damit getan meinen Deutschschüler online zu unterrichten. Es ist schon eine Umstellung, aber wenn man sich darauf einlässt möglich. LG aus Südindien Irène

    1. Danke Irène für die Eindrücke. Über möglicherweise anstehende Lockdowns habe ich gestern aus Bengaluru gehört.
      In Indien scheint man das weitaus pragmatischer zu handhaben und behindert sich vielleicht auch nicht mit Perfektionismus.
      Gerade in solch großen Ländern wie Indien, sehe ich auch ohne Pandemie große Möglichkeiten für Online-Unterricht. Wird darüber diskutiert oder ist das erst einmal „nur“ ein Ding für die Pandemie??

  3. Das ist echt ein komplexes Thema. Vielleicht trauen sich auch deswegen einige nicht so wirklich dran. Und die föderalistische Struktur ist für manche damit zusammenhängende Fragen nicht wirklich hilfreich.
    Nur mal so als Gedanke: Können Eltern eigentlich auch Unterricht einklagen? Schließlich gibt es eine Schuldpflicht – gibt es da nicht auch ein Anrecht auf Bildung?

    1. Danke, Belana Hermine, deine letzte Frage ist glaube ich genau der Grund, warum sie Distanzunterricht anbieten, damit die Kids zu ihrem Recht auf Bildung kommen. Nur leider sagt, dass nichts über die „Art und Vermeise“ der Wissensvermittlung aus und Menge.
      Ich melde mich wieder dazu in Beitrag 2 😉

  4. ich sehe ein großes Übel im – übertriebenen- Föderalismus; 1997 bin ich berufsbedingt mit Familie im laufenden Schuljahr von Berlin nach Ludwigsburg bei Stuttgart umgezogen: Die fast erste Frage bei der Schulanmeldung war, ob denn der Realschulstandard in Berlin mit dem in BW vergleichbar wäre; die 13-jährige Tochter hatte dann massive Probleme, sich zu sychronisieren. alter Schnee!? Na ja, seit zig Jahren wird über fehlende Standards lamentiert, aber auch immer gleich der tolle Föderalismus beschworen und alles verwässert sich dann regional, lokal oder runter bis zum persönlichen Engagement / Fähigkeiten / Talenten in den Schulen.

    Ich bin im untergangenen Ostland zur Schule bis zur 12 Klasse gegangen und will hier keine DDR-Träne vergießen.
    Aber ein zentrales Bildungsministerium mit modernen methodischen und technischen Suppporteinrichtungen wäre eventuell ein Ausweg. Die könnten Basisinhalte erarbeiten, laufend pflegen und bereitstellen. Dazu ein bundeseinheitliches Lehrplan-Grundgerüst als 80%-Basis und jeder Schüler könnte aus der Ferne oder bei Umzug problemlos weiter lernen.

    Da aber zu solchen grundsätzlichen Schritten poiltisch niemand bereit ist (und die (altbundes)Deutschen in der Selbstbewertung eigentlich immer alles richtig gemacht haben) wurschteln wir eben weiter, erschrecken mal über Pisa und dann über solches Katastrophen-Unvermögen…. und dann trifft sich wieder die Kultusministerkonferenz zum Plausch.

    1. Danke Hermann, für den ausführlichen Kommentar und die eigenen Erlebnisse. Föderalismus im Bildungswesen spielt da sicher auch rein, aber man kriegt es ja nicht im in EINEM Bundesland auf einen Nenner. Ich gehe da im zweiten Beitrag heute Abend aber noch mal drauf ein.

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