270) Digitales Lernen 2 – Wo liegt das Problem?

Aber warum tut man sich in Deutschland nach zwei Jahren immer noch so schwer?

So endete >Beitrag 1 dieser Reihe und damit mache ich heute hier weiter. Wer >Beitrag 1 noch nicht gelesen hat, besser erst einmal da beginnen.

Nach dem ich da meine Eindrücke in Form einer Bestandsaufnahme niedergeschrieben habe, will ich heute drüber nachdenken, was eigentlich die Probleme und Hindernisse sein könnten, wenn es darum geht, Schule zu digitalisieren. Bitte kommentiert und korrigiert gerne wieder, wenn ihr da andere Meinungen oder bessere Informationen habt 😉

Also wo liegt das Problem?

Probleme in der Technik:

Fehlt es an der nötigen Hardware?
Zumindest in der Schule kann ich mir das nur schwer vorstellen. Dort sollte es doch möglich sein, solche Dinge zu besorgen. Vermutlich einfacher, als das Klo reparieren zu lassen. In den Familien ist das nicht ganz so einfach. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in fast allen Familien Smartphones gibt, aber auf diesen Geräten kann man natürlich keine Schule machen. Trotzdem ist das doch eigentlich das geringste Problem, bedürftigen Familien entsprechende Laptops zu verschaffen. Mehr dazu in Beitrag 3.

Mangelt es am Netz?
Da könnte wohl etwas dran sein, obwohl ich auch glaube, dass die meisten Haushalte mittlerweile Anschluss ans Internet haben. Bei den Klassenräumen bin ich mir noch nicht ganz so sicher. Wenn ich dann aber neulich in einer Videokonferenz höre, dass die Kinder am besten Kamera und Ton abschalten sollen, um eine stabile Verbindung zu gewährleisten, dann gibt es zu wenig Bandbreite und Kinder tauchen ab und verstecken sich.

Fehlt es am Budget?
Sicher wird so ein Vorhaben ordentlich Geld kosten, keine Frage. Aber die konventionelle Durchführung des Unterrichts kostet auch Geld und wenn man mal die Risiken und Nachteile dazu nimmt, dann noch viel mehr, würde ich mal sagen. Und wenn ich sehe, welche Gelder für Corona-Maßnahmen und Wiederaufbau in den von Unwettern zerstörten Gebieten locker gemacht wurden, dann kann es nicht am Geld liegen.

Probleme im Doing:

Ist die Unterrichtsplanung das Problem?
Logistik wird häufig unterschätzt, in der Tat. Aber es ist nur dann ein Problem, wenn man Digitales Lernen auf analoge Weise mit Zettelwirtschaft, Klemmbrett und Telefon plant. Die Planung muss natürlich auch digitalisiert werden. Was ich mir durchaus herausfordernd vorstelle ist, wenn die Lehrkräfte ja teilweise selber im Home Office sitzen und dort auch wieder deren Kinder umherspringen und Aufmerksamkeit von ihren Eltern fordern.

Ist digitaler Unterricht vielleicht unhandlich?
Klar lassen sich Papier-Hausarbeiten vielleicht schneller korrigieren und mit anderen vergleichen. Man hat was zum Anfassen, kann die Papiere vor sich ausbreiten, man kann Hinweise an den Rand kritzeln, als das mit Fotografierten Arbeiten oder PDFs effizient möglich ist. Allerdings liegt es m.E. auch genau an all diesen Medienwechseln, die heute für Frust sorgen. Das Problem ist hausgemacht! Der Lehrer muss ein Dokument uploaden und klassifizieren, die Schüler müssen das Dokument finden, downloaden, ausdrucken, ausfüllen, abfotografieren und wieder uploaden. Der Lehrer muss dann wieder alle 30 Ergebnisse sichten, kontrollieren und auf einem anderen Kanal sein Feedback oder gar Noten geben. Ein Wahnsinn! Kein Wunder, dass Lehrer keine Zeit haben, Videokonferenzen abzuhalten.

Liegt es am fehlenden Know-How bei den Kindern?
Das glaube ich kaum. Wenn ich sehe wie die Kids mit den Geräten hantieren, wie sicher sie bei Netflix und anderen Portalen unterwegs sind, da kann sich manch Erwachsener ein Scheibchen von abschneiden. Und gerade Schüler mit Sprach-Barriere haben es da vielleicht sogar anfangs noch einfacher, als sich unter 700 Kindern einer Berliner Schule zu integrieren und zu behaupten.

Liegt es am fehlenden Know-How bei den Lehrkräften?
Hier sehe ich schon einen wichtigen Punkt. In der Wirtschaft standen bereits Anfang der Neunzigerjahre flächendeckend PCs auf den Schreibtischen. Wie die Situation heute in den Schulen ist, weiß ich nicht, aber ich glaube, dass die Schulen nicht gerade vorne sind wenn es um IT Infrastruktur, deren Administration und dem nötigen Know-How-Aufbau im Kollegium geht.

Probleme im Content:

Ist die reine Menge der Lehrmittel das Problem?
Ich sehe auf keinen Fall ein Problem mit der Datenmenge, schaut man sich mal Netflix, Amazon Prime und YouTubes an, ist das alles machbar. Was man vielleicht hinterfragen kann ist, ob man denn alle Schulbücher, Übungshefte und Arbeitsblätter digital benötigt. Ich glaube, das braucht es gar nicht. Seit Jahren tragen Schüler schwere Schulbücher täglich hin und her und manche Seiten wurden nie angesehen.

Mangelt es an Struktur?
Ganz kurz? Ja. Wenn ich mir die beiden Plattformen so anschaue, die ich gesehen habe, fehlt es da an Struktur und an einer Definition „Was“ eigentlich „Was“ ist. Der einzige gemeinsame Nenner scheint noch das „Unterrichtsfach“ zu sein. Also Mathe, Deutsch etc, ein paar Level darunter, macht jeder was er will. Also z.B. was ist ein „Thema“?, Was eine „Unterrichtseinheit“?, Was ist eine „Buchseite“?, Was ist ein „Arbeitsblatt“?, Was ist ein „Schaubild“? Wie sind solche Dokumente zu benennen? Woran erkennt man sie? Und und und ….

Fehlt es an Attraktivität?
Auch wichtig. Der Großteil des Stoffes ist Lesestoff, der ist aber allein zu Hause wahrlich schwer zu konsumieren. Schaut man sich bei Profis um, findet man Videos, Animationen und WBTs. Mittlerweile rennen die Kinder und deren Eltern schon zu YouTube-Lehrern, weil sie da komplexere Dinge besser verstehen.

Probleme im System:

Liegt es an der freien Wahl der Lehrmittel?
Lehrkräfte haben heute Freiheiten in der Gestaltung des Unterrichts, nicht unbedingt bei dem „was“ Kindern beigebracht wird, aber beim „Wie“. Damit liegt auch die Entscheidung ob Unterricht digital vermittelt oder analog bei Ihnen. Nicht mal innerhalb in einer Schule kann anscheinend Konsens hergestellt werden und da rede ich mal noch gar nicht von Städten oder gar Bundesländern. Aus meiner Sicht ist das ein Mega-Hindernis, denken wir auch mal an Vertretungsfälle wegen Krankheit, Mutterschutz und Elternzeit etc.

Wo ist der Content heute und wie tauglich ist er?
Durch oben besagte Freiheit in der Wahl der Lehrmittel, kann ich mir sehr gut vorstellen dass der Content heute in Leitz Ordnern, Klarsichthüllen und möglicherweise auf lokalen Festplatten schlummert. Wenn ich so manche Arbeitsblätter sehe, sind das bereits die x-fuchsten Kopien des Original-Papiers.

Oder ist unser föderales Bildungssystem das Haupthindernis?
Unser föderales Bildungssystem ist da sicherlich kein Beschleuniger, allerdings sehe ich das auch fürs Digitale Lernen nicht unbedingt als kriegsentscheidend. Beim Aufbau einer solchen digitalen Lernlandschaft kann ein Bundesland für sich alleine viel schneller agieren, auch wenn das aus gesamtdeutscher Sicht wirtschaftlich sehr fraglich ist. Aber der Lernstoff wird auch im Bundesland verantwortet, auch wenn das ebenso unverständlich ist. Das Problem des Bildungsföderalismus muss man angehen, ohne Frage. Aber wenn wir das noch vor der Digitalisierung machen wollen, glaube ich bei meinen Ur-Enkeln noch nicht an Digitales Lernen.

Oder blockiert da vielleicht irgendjemand ganz aktiv?
Möglicherweise in den Gewerkschaften der Lehrkräfte, weil sie ihre Mitglieder oder sich überfordert sehen? Oder bei den Lehrkräften selber, weil Wandel unbequem ist und am Ende ein völlig anderer Lehrerberuf rauskommen kann? Oder bei den Kultusministern, die an Macht und Einfluß verlieren? Oder bei den Schulbuchverlagen die Panik kriegen, nie wieder Schulbücher in diesen Mengen verkaufen zu können. Tja, da kann man nur mutmaßen, vielleicht tue ich auch Unrecht und da blockiert gar keiner. Aber bei dem Thema muss man eben auch „agieren“, statt nur „nicht blockieren“ und das sehe ich leider nicht.

Fazit für heute:

Vermutlich haben wir von all den Problemen etwas dabei und das macht erst recht deutlich, wie groß diese Aufgabe ist. Da ist es mit etwas WLAN an der Schule noch lange nicht gemacht.

Und darüber will ich in Beitrag 3 der Reihe etwas nachdenken, ihr könnt gern mitmachen.

PS: und wenn ich hier irgendetwas fachlich falsch dargestellt habe, dann bitte drauf hinweisen, denn hier bei dem Thema soll es sachlich zugehen 😉

Die anderen beiden Beiträge der Reihe:

269) Digitales Lernen 1 – Eine Bestandsaufnahme

Schon wieder sitzen wir im Distanzunterricht. Nein, nicht wegen Corona, sondern weil es in der Schule gebrannt hat und bis auf Weiteres dort nicht unterrichtet wird. So etwas kann man…

271) Digitales Lernen 3 – Ein paar Ideen

Mit >Beitrag 1 der Reihe habe ich die Situation zum Digitalen Lernen an unseren Schulen aufgenommen, in >Beitrag 2 dann überlegt, wo eigentlich das Problem liegt. Wer beide noch nicht…

308) Digitales Lernen 4 – Konzepte

Nach dem ich den Beitrag >Digitales Lernen – Teil 3 zu Beginn des Jahres veröffentlicht hatte, begab ich mich auf Netz-Recherche. Ich wollte wissen, welche Maßnahmen dazu so in der…

15 Kommentare zu „270) Digitales Lernen 2 – Wo liegt das Problem?

  1. Danke für das Eintauchen in deine Gedanken, lieber T. Ich bin mir sehr sicher, dass einer der massiveren Knackpunkte beim Personal selbst liegt. Digitales Lehren setzt Veränderungsbereitschaft voraus. Veränderungen begegnet die Masse an Lehrerschaft (wie Mensch an sich) erst einmal mit Widerstand). Da steckt viel Unsicherheit und Angst dahinter, mE noch mehr bei den älteren Semestern. Wie sich in der Wirtschaft der Umbruch in Sachen New Work, New Leadership, Agiles Arbeiten etc. über Jahre hinzieht, so beobachte ich es auch hier. Die jüngeren, mutigeren Semester werden lauter und lauter, die älteren – meist noch in der Führungsetage – ziehen die Köpfe ein. Noch. Steter Tropfen höhlt den Stein. Wie auch immer… Es täte den Schulen gut, hier umsichtige und empathische Begleitung resp. Coaching zu haben, damit sich der Prozess mindestens strukturieren ließe. Vielleicht käme nach und nach auch mehr Geschwindigkeit ins Spiel. Aber da ist auch noch ein Ministerium aka eine Behörde, die aus Gewohnheit zu viel (?) reguliert. Und wer hat das Nachsehen, die Kunden, ähem Kinder, in Vertretung deren Eltern. Jammern hilft jedoch nicht, ansprechen, mögliche Lösungen transparent(er) machen, Unterstützung anbieten… Das dürfen auch wir als Eltern. Besser als Warten. Freu mich daher auf deinen Teil 3.

    1. Danke Synke für deinen Kommentar. Ich „fürchte“ auch, dass der Knackpunkt im Change der beteiligten Menschen liegt. Während man andere Probleme mit Geld lösen kann, bedarf es hier „aktive“ Geduld. Die Idee eines Coachings finde ich sehr gut, vielleicht könnten auch Leute aus der Wirtschaft die schon in diesen Strukturen arbeiten oder auch Vertreter von Bildungsinstituten, die schon mehr Erfahrungen haben. (Z.B. Fern-Uni)

  2. Wie beim ebenso großen und komplexen Thema Nachhaltigkeit scheint es doch an einem deutlichen politischen Willen zu liegen, sich mal der Frage der Bildung (von der Wiege bis zur Bahre!) zu widmen. Wenn der große Rahmen abgesteckt wäre, würde Aktivität von unten eine Richtung und z. T. auch Rückendeckung zu haben. Im Moment laufen Lehrer/innen permanent Gefahr, gegen irgendeine Vorschrift zu verstoßen.

    1. Ja genau so ist das. Jeden Tag. Beim Klima ist man immerhin schon im Level 1, der „Diskussion und Ziel“ angekommen .
      Ich schicke heute noch einen dritten Beitrag

      1. Habe Deinen dritten Beitrag auch gelesen. Ich werde mal zum E-Mail-Chaos beitragen und vermutlich am Wochenende ein paar Gedanken per E-Mail an Dich schicken.

  3. Ich fürchte ebenfalls, es ist eine unheilvolle Melange, die schnellere Fortschritte verhindert. Die Lehrerausbildung hinkt immer noch hinterher, obwohl sich da schon einiges getan hat (immerhin gibt es schon studienbegleitend Pflichtpraktika in den Schulen), der Föderalismus hat sicher seine guten Seiten, aber eben auch sehr viele Nachteile (Umzüge in andere Bundesländer, Abschluss nicht vergleichbar etc), daraus ergibt sich dann auch, dass die Landschaft der Lehrmittel unübersichtlich ist…
    Ach ja, da beschließen Schulen, ein Lehrwerk anzuschaffen, dann kommen Lehrer von anderen Schulen, haben mit anderem Buch gearbeitet und haben keine Motivation, sich umzugewöhnen, zack, wird der Kopierer bemüht…
    Lange wurden Schulen in Sachen EDV auch stiefkindlich behandelt, denn die Kids sollten ja schließlich zuallererst Kulturtechniken lernen. Da steht dann vielleicht ein Netzwerk in der Verwaltung, aber die Klassenräume haben keine Anschlüsse, die Routeranbindung reicht weder von der Kapazität noch von der Reichweite…

    Lehrmittel, die einen digitalen Unterricht sinnvoll und effektiv unterstützen, könnten grundsätzlich sicher von den Schulbuchverlagen zur Verfügung gestellt werden, wenn sie die entsprechenden Aufträge bekämen und außer introvertierten Schulbuchtüftlern auch ein paar lehrende Rampensäue einstellen. Die Publikumsverlage schaffen es ja auch, ihren Content ins Netz zu transferieren.
    Auf der Ebene der Lehrplanerstellung könnte mehr Platz für individuelle Anforderungen von Schulen sein: Wenn klar ist, welche Fähigkeiten am Ende des Schuljahres vorhanden sein sollten, kann der konkrete Weg dahin an einer Schule in Düsseldorf ganz anders aussehen als in Duisburg.
    Das bringt mich zur Inklusion, die in den skandinavischen Ländern wesentlich besser gelebt wird als bei uns.
    … und so weiter …
    Wenn man lange genug darüber nachdenkt, gibt es so viel zu verändern, und das muss unbedingt unter Beteiligung von Schülern, Lehrern und Eltern passieren, nicht einfach nur auf Ministeriumsebene im stillen Kämmerlein.

    Wäre (zu?) schön, wenn sich da jetzt mal wirklich was tut.
    Liebe Grüße, Anja

    1. Danke Danke, genau zu solchen Ideen schreibe ich heute noch was. Eigentlich müssten wir jetzt eine Kommission gründen. Ich denke schon drüber nach …

  4. wenn wir es im wesentlichen bei den Lehrer/innen sehen (Bereitschaft zur Veränderung usw.) wäre schon interessant, wie es in anderen Ländern ist, denn auch dort gibt es die natürliche Altersstruktur. Eltern mit ca. 30-50 Jahren sind voll im täglichen Change-Takt drin und erwarten das auch von Anderen, aber nicht jeder kann es von sich heraus. Ähnlich wie bei der fahrradgerechten Umgestaltung der Großstadt, heute sehe ich in der Innenstadt Berlin meist 20-40 -jährige Jungdynamiker. Fahren die in 20 Jahren auch noch 10-20 km?

    1. Danke Hermann, ja „Change“ und „Change-Begleitung“ ist wichtig, allerdings läuft mir das manchmal etwas zu soft und Wattebausch- mäßig. Mein Arbeitgeber fragt mich auch nicht, ob ich nicht vielleicht mal an Video-Konferenzen denken will.

  5. Hervorragende Analyse. Ich beschäftige mich beruflich viel mit Digitalisierung. Es ist, wie es häufig ist. Ich nenne das den Gummibandefekt. Man läuft los, der Zug durch Desinteresse und Blockade wird größer, der Zug wird unüberwindbar und man landet dort, wo man begonnen hat.

    1. Hallo oschlenkert, vielen Dank fürs Lesen und den Kommentar. Ich bin beruflich auch in der Digi unterwegs und frage ich mich als Papa, wie das Arbeiten dort in den Bildungsbereich gespiegelt werden kann. Habe kürzlich das Digitalisierungskonzept für die Berliner Schulen gelesen und werde das sicher auch noch mal hier ansprechen.
      Grüße, T. aus Berlin

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