444) Lass sie kleben

Sitzen ist das neue Rauchen, sagt man. Kleben ist das neue Impfen, glaubt man. Es gibt kaum ein Thema, was die Deutschen so sehr aufzuregen und zu polarisieren scheint.

Menschen, die sich für konsequenten Klimaschutz auf der Kreuzung festkleben und damit Autofahrer an den Rand des Wahnsinns treiben. Juhu, ich habe es schon geschafft. Des Lesers Puls hat sich bereits verändert. Wetten?

Und was können wir uns da herrlich aufregen:

  • Auf einmal scheint der Großteil der Berliner neuerdings Klempner zu sein oder dringende Arzneimittel zu transportieren.
  • Und alle Nicht-Berliner sind plötzlich zu Berlinern geworden und dreschen auf die Klebe-Geister ein. Weil das ja „dem eigentlich doch positivem Ansinnen schadet“. Die völlig falsche Protestform … na wenn das mal nicht nach hinten losgeht.
  • Und die Gemälde. Auh weija. Ja da ist eine rote Linie übertreten. Wir lieben ja unsere Gemälde. Jeder kennt eines. Schade um die schönen Gemälde, die haben ja mit Klimaschutz überhaupt nichts zu tun. 
  • Und das Grundgesetz erst. Das stand da immer so schön getafelt an der Spree. Und nun wurde es schon mehrfach beschmutzt. Unser schönes Grundgesetz, das uns sonst ja so heilig ist. Jeder Deutsche kann nachts geweckt werden, die Abseitsregel erklären und das Grundgesetz aufsagen. Ja genau.
  • Und der Moderator, des von mir eigentlich sehr geschätzten Radiosenders, der seit mehreren Tagen über nichts anderes mehr reden mag, weil er selber ständig im Stau steht. Schlimm, so schlimm.
  • Und der 80-jährige Opa, der vom Flughafen BER drei Stunden in den Berliner Norden gebraucht hat und weder eine Flasche Wasser und noch eine mobile Toilette dabei hatte. Das geht an die Menschenrechte. Das ist ja schon kriminell. Dagegen muss man vorgehen.
  • Und die Abgase, die dabei entstehen. Allein schon dadurch werden doch Staus gefördert. Furchtbar. Drei Stunden Klimaanlage im Dauerbetrieb, das Auto-Radio läuft und das Handy muss man ja auch mal laden. Das verhagelt uns ja nun völlig die Klima-Bilanz. Das macht ja alle Anstrengungen zunichte.
  • Und all die Rettungswagen im Besonderen, die ja früher quasi durch die Stadt flogen und nun ständig feststecken. Die armen Menschen, die da tagtäglich im RTW verrecken. Stell dir das mal vor. Dramatisch.
  • Und überhaupt, die normalen Bürger, das sind doch die völlig falschen Adressaten. Das sollte man doch lieber die Regierung … oder die Industrie … oder die … Bonzen und die alle blockieren … das sind doch die … die Schuld sind. 
  • Und dieser schnöselige Tasten-Clown hier, der hat ja gut reden! Der sitzt ja den ganzen Tag in seinem Yuppie-Homeoffice. Der muss ja nicht jeden Tag mit dem Auto zu Arbeit fahren.

Stoooooopp! Ich habe die Schnauze voll, ich kann es nicht mehr hören. Diese Jammerlappen hier. Wie will man Veränderungen voranbringen … wenn viele Menschen zwar gern Bundestrainer … ansonsten aber … Weicheier … sind. Sorry. Tut mir Leid.

Gut tausend Kilometer von hier, da kleben Kinder auf der Straße. Tote Kinder oder was von ihnen übrig ist. Knochen, Gedärm, Hirn, eine Niere garniert mit Zahnspange und Teddy-Bär-Gemüse. Eine zähe Masse. Und das klebt vielleicht das Zeug. Kriegt man kaum wieder ab von der Straße. Hilft auch kein Sonnenblumen-Öl.

Wisst Ihr, was mich mal interessieren würde? Welches inhaltliche Ziel eigentlich eine Bewegung verfolgen müsste, damit der Großteil der Heulsusen hierzulande mit den unbequemen Sitzblockaden fein wäre. Bratwurst für alle? Freibier? Fußballweltmeister?

Schönen Sonntag
T.

172) Corona-Lektionen 67

Ich erspare mir heute eine Einleitung. Ich gehe sofort aufs Thema dieses Beitrags:
Medien und informationelle Fremdbestimmung in diesen Zeiten.

Eigentlich halte ich mich für jemanden, der gerne Informationen aufsaugt, Nachrichten hört/schaut und auch den politischen Diskurs verfolgt. Jetzt will ich hier wirklich nicht zum Medien-Bashing aufrufen, aber das, was aktuell ins Volk getrötet wird, ist nur schwer zu ertragen. Während die einen die Pandemie nahezu komplett aus dem Programm heraushalten, diskutieren sich die anderen zu Tode. Wenn uns der Virus nicht dahinrafft, dann wohl der Informationelle Burnout. Weil aber auch wirklich jeder seinen Senf dazugeben muss. Schon schlimm genug, dass Corona die Nachrichten und Diskussionsformate beherrscht, aber auch das Programm zwischendurch wird ständig vor die Corona-Kulisse gezogen. Ich glaube, die Leute sind nicht unbedingt Corona-müde aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung, sondern eher weil sie es nicht mehr hören können. 

Und das halte ich für gefährlich, denn Menschen ziehen sich dann aus dem Geschehen zurück und machen es sich in ihrer Blase gemütlich. Oder sie gehen Hetzern auf den Leim.

Da ist zum einen die schiere Menge der Informationen. Aber auch mein Eindruck, dass das wenigste wirklich eine Relevanz hat, etwas konstruktives beiträgt oder zum aktuellen Moment passt. Nähert sich beispielsweise der Mittwoch, wo das „Corona-Kabinett“ tagt, wird sich spätestens ab Sonntag davor, das Maul zerrissen. Kaum verlässt die Kanzlerin die Pressekonferenz, regt sich schon irgendwer auf, dass beim Thema Schule kein bundesweiter Konsens herrscht. Muss es denn? Ist es denn so ein Drama, wenn Bayern da anders agiert als Berlin? Spielt das infektionstechnisch irgendeine Rolle? Nein! Aber es wird geredet und geredet. Wertvolle Zeit mit Nebensächlichkeiten vergeudet. Dann wird mal jubelnd erklärt, dass Firma x und Firma y nun gemeinsam Impfstoff produzieren. Super! Durchbruch! Rettung naht! Die Euphorie beim Hörer wärt aber nicht lange. „Das geplante Werk kann Ende 2022 mit der Fertigung beginnen“. Na großartig. Ich finde es ja gut, wenn positive Nachrichten übermittelt werden, aber ist diese Information jetzt nötig? Schürt das nicht noch mehr Zweifel und Medien-/Politik-Verdrossenheit?

Was hätte eigentlich die Nachrichten bestimmt, wenn Corona nicht in unser Leben getreten wäre? Vermutlich hätten wir übers Klima gesprochen. Ach stimmt, Klima haben wir ja auch noch. Oder über flüchtende Menschen. Ja, auch die gibt‘s noch und sie hausen in übelsten Lagern, während wir diskutieren, ob Friseure wieder öffnen und Fußpflege nicht auch zur Menschenwürde gehört. Wahrscheinlich hätten wir auch mal erörtert, wie sich Digitalisierung langfristig auf die Beschäftigung auswirkt. Digitalisierung ist etwas mehr als Homeoffice und fehlendes WLAN an den Schulen. Und wahrscheinlich hätten wir jeden Morgen irgendwelche Twitter-Ergüsse des Mannes mit den orangen Haaren erlebt. 

Na immerhin, doch noch etwas positives an Corona gefunden…

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76) News-Cocktail

Sagt mal, geht’s nur mir so? Bin ich der Einzige, der das Gefühl hat, dass hier etwas mächtig in Schieflage gerät?

Kaum hat ein Thema die Bühne betreten, wird es einen Tag später schon wieder verdrängt und es steht ein neues Problem dort oben im Rampenlicht. Und schlimmer noch. Es ist nicht nur das Thema an sich. Auf das kann man sich ja einstellen und man kann sich damit beschäftigen. Aber solch „ein“ Thema wird mit zig verschiedenen Auffassungen, Sichten und Färbungen transportiert, so dass man gut daran tut, mehrere Varianten davon zu hören. 

Hier ein Schlückchen meines News-Cocktails der letzten Wochen:

Brexit, Buschbrände, Klima-Krise, Erderwärmung, Davos, Stürme, Unwetter, Tesla-Proteste, Thüringenwahl, AfD-Zugewinne, Terror von rechts, Hanau, Handelskonflikt, USA, Vorwahlen, Trump, China, Reisebeschränkung, Corona, Covid-19, Quarantäne, Hamsterkäufe, Absage Groß-Events, Libyen, Syrien, Flüchtlinge, Griechenland, Türkei, Grenzöffnung, Tränengas, Digitalisierung, Schulschließung, Kündigungen, Kurzarbeit, Container-Mangel, Masken-Mangel, Nudel-Mangel, Hamsterkäufe, Hass-Kommentare, Beleidung im Fußball, Verrohung, … und all das nur mal eben angekratzt und sicher vieles gar nicht aufgeführt. All das on top zu unserem Job und den Herausforderungen des Alltags. 

Was ist nur los hier?
Ja, früher gab es auch Nachrichten. Ja, früher gab es auch Konflikte und schlechte Zeiten. Aber ist das nicht alles ein bisschen viel? Überblickt das noch einer? Hat das noch einer im Griff?

Und was ist die Konsequenz daraus?
Abschalten? Abtauchen? Trash-TV schauen und sich mit Nichtigkeiten berieseln? Ich hoffe nicht … das wäre auch nicht gut.

Was kann man tun?

PS: Ach so … das soll jetzt hier keine Einladung sein, auf die Medien einzudreschen … Kommentare dieser Art werden nicht freigeschaltet. Pech gehabt 😉

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