716) Weil wir übers Stadtbild reden müssen

Es gibt aktuell keinen Tag an dem nicht über den Begriff „Stadtbild“ diskutiert wird, danke für diese Flanke Herr Bundeskanzler, diesen Ball möchte ich gern weiterspielen. (Bei der Gelegenheit, bei uns gibt es mittlerweile auch schon „Stadtwild“, aber das Fass mache ich jetzt nicht auch noch auf.)

Ja, wir sollten mehr übers Stadtbild reden, denn da liegt so Einiges im Argen.

  • Wenn ich mir anschaue, wie öffentliches und privates Eigentum mit Farbe besudelt wird.
  • Wenn Parks aussehen wie eine Müllhalde oder wie eine lokale Version der Wüste Gobi.
  • Wenn ich sehe, wie Menschen unter Brücken hausen oder Zelte in den Büschen der Parks aufbauen.
  • Wenn Schrott über Nacht auf die Straße gestellt wird („zu verschenken“) und dort vor sich hin gammelt.
  • Wenn „Ich-gönne-mir-nen-Roller-Fahrer“ zu blöd sind, das Ding nach der Nutzung vernünftig abzustellen.
  • Wenn es an den zentralen Plätzen der Stadt entweder nach Urin oder Dope riecht, und man bloß nichts anfassen will.
  • Wenn aus einfachsten Straßen-Baustellen, jahrelange Flughafen- oder Mars-Besiedlungsprojekte werden.
  • Wenn Schulen aus den siebziger Jahren zusammenfallen und die verpickelten Halbwüchsigen deshalb durch die halbe Stadt zur Ausweichschule fahren und die Bahn verstopfen.
  • Wenn selbst ich als Kerl, abends ungern durch Parks gehe … in denen es an Lampen mangelt.

Ja, dann müssen wir mal ganz dringend übers Stadtbild reden Herr Merz. Nur verstehe ich noch nicht, was davon in erster Linie von Menschen aus dem Ausland verursacht wird, die hier Zuflucht oder einen Job suchen oder warum gerade unsere Töchter und Frauen da mehr zu richten hätten.

PS: Titelbild via ChatGPT, Leser jenseits der Elbe können beruhigt sein, dass der Bundestag noch nicht nach Ostberlin verschoben wurde 😉

643) Vier-Tage-Woche und Work-Live-Balance?

Neu-Bundeskanzler Merz ist nun die dritte Woche im Amt und ein Zitat beschäftigt die Nachrichten, Podcasts, Gewerkschaften und Arbeitnehmer.

„Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance allein werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“.

Da haben Sie Recht Herr Merz, aber was wollen Sie uns mit diesem Satz sagen? 

Wollen Sie etwa sagen, dass die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung aktuell die Hängematte ausbalanciert? Wollen sie kommende neue Arbeitszeitmodelle verhindern oder erreichte Flexibilisierungen der Arbeitszeit gar wieder abschaffen?

Die Deutschen leisten im Vergleich zu anderen EU-Ländern weniger Arbeitsstunden als andere Länder, so heist es. Der statistische Grieche schuftet mehr, das mag sein, der Vergleich hingt aber, Griechenland und Deutschland lassen sich strukturell nicht vergleichen. Außerdem haben die Griechen weniger Feiertage und eine niedrigere Teilzeitquote.

Die Jungs vom Podcast „Lage der Nation“ haben das in Folge 432 schön auseinandergenommen und ich denke auch, bevor man über eine 50 Stunden-Woche nachdenkt (die viele Menschen heute schon haben), sollte man doch erst einmal bekannte Maßnahmen umsetzen, in denen verfügbare Arbeitsstunden schlummern, ohne das Soll für die heutigen Arbeitnehmer zu erhöhen.

Zum Beispiel:

  • Menschen die arbeiten können, zum Arbeiten bringen
  • Asyl-Gäste und Migranten schneller arbeiten lassen
  • Müttern in Teilzeit die Rückkehr in Vollzeit vereinfachen
  • Ganztags-Kinderbetreuung ausbauen, Fahrwege reduzieren
  • Ehegattensplitting a.k.a. „Herd-Prämie“ abschaffen

Aber selbst die fünf Maßnahmen zielen nur darauf ab, die verfügbaren Arbeitsstunden zu erhöhen, was mir da aber noch zu kurz kommt sind die Fragen „Wofür eigentlich“ und „Wie eigentlich“ wird Arbeitszeit geleistet?

Wofür wird die Arbeitszeit eingesetzt?

Wenn Arbeitskräfte knapp sind, ist es dann sinnvoll krampfhaft am konventionellen Auto-Bau festzuhalten, wenn sich E-Autos viel aufwandsärmer fertigen lassen? Muss man sich im Straßen-, Landschafts- und Wohnungsbau derart detailverliebt austoben, so dass der Ausbau einer Schule, eines Sportplatzes, eines Radweges mittlerweile drei Jahre dauert?

Versteht Herr Merz unter „Wohlstand“, dass man sich nachts um drei ein Stück Butter bestellen kann und irgendwelche prekär bezahlten Night-Workers währenddessen die Akkus an den E-Rollern tauschen? Könnte man diese vergeudeten Arbeitsstunden nicht sinnvoller einsetzen? Hätte der Pizza-Fahrer nicht schon längst mal zum Busfahrer ausgebildet werden können?

Wie verbringen Menschen ihre Arbeitszeit?

Wenn ich sehe, mit welchem Blödsinn sich so manch Beamte/r, Lehrkraft, Sachbearbeiter/in zeitweise beschäftigen muss, wie da im Öffentlichen Sektor aber auch in der Privatwirtschaft seit Jahren ein Schema „F“ durchgezogen wird und immer mehr Bürokratie oben draufkommt. Ist das produktive Arbeitszeit? Nein, das ist Anwesenheit gegen Geld. Das ist weder effizient noch effektiv. Es ist Verschwendung von Arbeitszeit. Ganz einfach.

Wenn ich sehe, wie Betonwege aufgebrochen werden und dann Straßenbauer tagelang auf Knien robben, um diesen Fußweg nun mit kleinen Steinen zu bepflastern … dann frage ich mich, ob das „Innovations-Land“ keine bessere Möglichkeit finden kann, diese Arbeits“zeit“ und Arbeits“kraft“ einzusetzen. Entsiegelung von Flächen ist wichtig keine Frage, aber so?

Allein das Potenzial, was durch ausbleibende Automatisierung, Digitalisierung und Komplexitätsreduzierung in Regeln, Gesetzen, Vorschriften ungenutzt bleibt, würde doch eher eine 32 Stunden-Woche rechtfertigen oder eben die Vier-Tage-Woche.

Also, Herr Merz, bei mir brauchen sie wegen höherer Arbeitszeit nicht anklopfen.

PS: Titelbild via ChatGPT

606) Empathie-Grundkurs für einen Kanzlerkandidaten

Gestern bin ich zufällig in die ZDF Wahl-Sendung >Klartext gestolpert, eigentlich auch nur, weil ich die Nachrichten schauen wollte, die Sendung aber zeitlich überzogen hatte.

Aber so konnte ich den Kanzler-Kandidaten der CDU noch etwas bei seinen ausbaufähigen Empathie-„Künsten“ beobachten.

Bei Minute 2:13:30 äußert sich eine Dame aus dem Publikum sehr besorgt, dass die Lieferung von Waffensystemen wie dem „Taurus“ ja auch zu Vergeltungsschlägen gegen Deutschland führen können.

Und dann passiert ungefähr folgendes:

  1. Der Kandidat äußert kurz Verständnis, auch wenn er die Sorge nicht teile.
  2. Der Kandidat versucht, die Sorge zu entkräften, Deutschland hätte es schließlich in der Hand, solch Eskalation zu vermeiden.
  3. Der Kandidat wechselt mal eben schnell die Frage, beklagt die Versäumnisse der Ampel-Regierung.
  4. Die Dame und die Moderatorin bemerken den Trick und wollen die Diskussion wieder auf die Zukunft … die Zeit nach der Wahl … und seine künftige Verantwortung lenken.
  5. Der Kandidat umreist die offensichtlich aggressive Agenda von Groß-Russland, erst die Ukraine, dann Baltikum, dann Polen … man konnte die Panzer förmlich rollen hören.
  6. Die Dame bekommt immer mehr Sorgenfalten auf der Stirn, versucht wiederholt, auf ihre Ängste zurückzukommen.
  7. Der Kandidat versichert, dass hybride Angriffe schon täglich stattfinden, besonders im Bereich der Cyberkriminalität und Sabotage.
  8. Die Dame unterstreicht noch mal, dass wir uns ja mit einer Atommacht anlegen und wirkt sehr besorgt.
  9. Der Kandidat trägt vor, dass man keine Angst haben darf.
  10. Die Dame zuckt hilflos mit den Schultern.
  11. Der Kandidat sagt, er schlafe abends gut, die Frage halte ihn aber auch wach.
  12. Der Kandidat verweist auf seine Familie, seine Kinder, und versichert, er mache sich auch so seine Gedanken.

Kurve gerade mal noch so gekriegt … Herr Kandidat.

Was nun noch gefehlt hätte, wäre so etwas wie:

„Vielen Dank fürs Zuschauen und wir wünschen eine geruhsame Nacht“

549) Wenn Wehrpflicht wieder Pflicht wär

Bei den zunehmenden Diskussion zum Wiederaufleben der Wehrpflicht stellen sich mir die Nackenhaare auf und die Fußnägel machen drei Rollen rückwärts. Vergessene Begriffe kommen wieder hoch. Kreiswehrersatzamt, Musterung, Kaserne, Einberufung, Kriegsdienstverweigerung, und, und, und. Erinnerungen an eine permanent nagende Ungewissheit hinsichtlich Ort, Zeit und Verwendung … und wann der nächste Brief vom Amt ins Haus fliegen mochte, der überhaupt nicht mit meiner „Lebensplanung“ damals übereinstimmte. Aber gut, mir kann es ja jetzt Wurscht sein? Nein, es ist mir nicht egal. …

Mittlerweile kann ich einen Sinn darin sehen, junge Menschen für einen zeitweisen „Dienst“ zu verpflichten, aber bitte nicht am „Vaterland“ sondern an der „Gesellschaft“. Jungs und Mädels können da was für sich lernen und sich für andere nützlich machen, statt vom Staat darin ausgebildet zu werden auf andere Menschen zu schießen. Ja, die Bundeswehr muss sich Gedanken machen, wie sie ausreichend Köpfe unter ihre Stahlhelme bekommt, kann ich verstehen, aber es gibt genauso viele zivile Aufgaben hier, bei denen junge Leute anpacken können.

„Na, die können dann ja bestimmt wieder verweigern und dann Zivildienst machen“, mag man da denken, aber genau das stört mich gewaltig. Der default darf nicht „Kriegsdienst“ sein, von dem man sich dann mit einem Seelenstriptease vor einer Kommission befreien lassen darf. Der default muss „Dienst“ sein und der kann dann gleichwertig militärisch oder zivil sein. Und damit die letztverbliebenen Fachkräfte, jetzt nicht auch noch dem Arbeitsmarkt entzogen werden, wären auch flexiblere Konzepte nötig. Damit meine ich jetzt nicht „Schießausbildung im Homeoffice“, aber mindestens Mal eine heimat-und qualifikationsnahe Verwendung, damit die jungen Menschen, nicht durchs halbe Land gurken und Straßen und Schienen verstopfen. Zusätzlich könnte man verschiedene Dienstzeitmodelle andenken (1 Jahr Vollzeit, 2 Jahre Teilzeit o.ä.). Und eine Kombination mit Berufsausbildung oder Sprachförderung macht es vielleicht noch effektiver.

Ich glaube aber, die Wehrpflicht kommt nicht so bald zurück, denn das würde das Verteidigungsministerium und Beschaffungsamt vor extreme Herausforderungen stellen. Seitdem die Wehrpflicht vor zehn Jahren ausgesetzt wurde, hat sich die Gesellschaft mächtig verändert. Sie ist nicht nur lauter und rauer geworden, sondern auch agiler, diverser, individueller, inklusiver und anspruchsvoller.

  • Als erste Challenge käme wohl die Geschlechtergerechtigkeit auf den Tisch und die darauffolgenden wichtigen Toilettenfragen.
  • Dann müssten die Kasernen umgebaut werden, denn Datenschutz und Persönlichkeitsrechte rufen nach Einzelzimmer mit Bad.
  • Die Digitalisierung und Medienlandschaft erfordern WLAN, Netflix und 2 USB-Ladebuchsen auf jeder Stube.
  • Auch in der Ausrüstung müsste nachgebessert werden. In der Gasmaske bedarf es einer Aussparung für das Nasenpiercing, die Feldjacke bekommt eine weitere Außentasche für Vape und die Tagesdosis Cannabis und die Hosenbeine können abgetrennt werden, damit man die Waden-Tattoos besser sehen kann.
  • Auch die unterschiedlichen Religionen der Soldat:innen müssten berücksichtigt werden, auf dem Kasernenhof müssen Kapellen, Tempel und Moscheen gebaut werden.
  • Auch in der Verpflegung hat das Auswirkung, die Feldküche muss künftig vegetarische Kost anbieten, halal und bio, zusätzlich müssen Dauerzufahrtsgenehmigungen für die Bringdienste auf ihren bunten Fahrrädern ausgestellt werden.
  • Auch in der Mobilität und Waffentechnik erwartet der aufgeklärte Bürger entsprechende Anpassungen. Der Panzer muss mindestens mal „plug-in-hybrid“, die Granathülsen sollten wahlweise kompostierbar oder mehrwegfähig sein und zwischen den Baracken kann mit E-Rollern gependelt werden.
  • Der Morgen-Appel wird zum Morgenkreis auf Yoga-Matten umfunktioniert, jeder berichtet ab 09:30 Uhr bei einem Latte Macchiato wie es ihm/ihr/es gestern ergangen ist und wie der Tag gestaltet werden sollte, damit er retrospektiv als „gelungen“ betrachtet werden kann

Ihr seht schon … das wird nix 😉

Frühere Beiträge im Kontext

513) 1.Klasse diskutiert es sich bequemer

Wenn ich mich hier durch Bangalore bewege und das Treiben in der Stadt beobachte, muss ich oft an die vielen, teils ideologisch aufgeheizten, Diskussionen in der Heimat denken.

Ein paar Beispiele:

  • In Deutschland diskutieren wir den Ausbau der Radwege, definieren Breiten und Farbtöne und können uns herrlich drüber aufregen, wenn sich die Radfahrer nicht an die Radstreifen und Regeln halten. Hier gibt es überhaupt keine Radinfrastruktur, man sieht kaum Fahrräder, höchstens am Wochenende mal ein paar Rennradler, die sich zu früher Stunde aus der Stadt verdrücken.
  • Zu Hause schütten wir Fußgängerunterführungen zu, weil wir die Fußgänger nicht mehr verdrängen, stattdessen wieder ans Tageslicht bringen wollen. Hier dagegen gibt es kaum Ampeln, die ein gesichertes Überqueren der Straßen möglichen. Zebrastreifen sieht man ab und zu, sie haben aber keine Bedeutung. Fußgängerunterführungen oder -brücken … Fehlanzeige. Fußgängerzonen ebenso.
  • Hier ist man um jede weitere Fahrspur froh, die errichtet wird. Um jeden Fly Over, der ein besseres Vorankommen mit Auto oder Scooter ermöglicht. Wenn ich indischen Kollegen davon erzähle, dass wir Stück für Stück Fahrbahnen streichen, um den Autoverkehr schrittweise in den ÖPNV umzuleiten, schütteln die hier nur den Kopf. Ja, mit den zwei Metro-Linien in Bengaluru ist ein Anfang gemacht, aber man darf nicht vergessen, dass die Stadt jeden Tag wächst. Gemäß >Wikipedia waren es im Jahr 2000 ca. 6 Mio Einwohner, in 2017 schon das Doppelte mit 12 Mio. Solch ein Wachstum möchte ich mir für Berlin nicht vorstellen.
  • Wenn ich mich in Berlin einer Kreuzung nähre, dann registriere ich die Verkehrszeichen, leite daraus ab welche Regeln gelten, komme dann zu dem Schluss, was das nun für mich bedeutet und handle danach. Und im Zweifel zählt §1 StVO. Fährt mein Indischer Kollege auf die Kreuzung zu, denkt er eigentlich nur daran, … O-Ton …, wie er nun schnellstmöglich vorwärts kommt ohne andere zu töten oder sein Auto zu beschädigen. Und schnellstmöglich meint jetzt nicht „Rasen“, sondern überhaupt vorankommen.
  • Wenn ich meinen Kindern eintrichtere, dass sie sich doch etwas zurückhalten sollen, anderen den Vortritt lassen, oder sich anstellen müssen, gilt hier nur das Recht des lauteren, stärkeren und energischeren. Wenn man hier auch nur einem Menschen den Vortritt lässt oder einem Pkw die Vorfahrt schenkt, kommen gleich zig andere hinterher und man hat die berühmte Karte mit A gezogen.
  • Geht es bei uns auch gern um Gleichberechtigung, Equal Pay und Frauenrechte, sind hier die Hochzeiten noch häufig arrangiert und der Ehegatte beziehungsweise seine Eltern verfügen über die Rechte der Frau. Auf der Büro-Etage, wo ich die letzten Tage zu tun hatte, waren Frauen deutlich unterrepräsentiert. Dafür sieht man sie beim Bau von Fußwegen oder anderen körperlich schweren Tätigkeiten.
  • Ist bei uns Sonntagsarbeit i.d.R. verboten, weil Kirchen oder Gewerkschaften es so gern haben, läuft der Laden hier weiter. Die Arbeiten an der Metro werden fortgesetzt und auch Wohnhäuser sind sonntags „Under Construction“. Häufig wohnen die Arbeiter in den Rohbauten. Wenn die Sonntags Däumchen drehen würden, dann würde alles noch ein siebtel länger dauern und die Leute würden ein siebtel weniger verdienen. Ganz einfach.
  • Während wir diskutieren, ob das Duschgel nun Mikro-Plastik enthält oder nicht, gibt’s hier Makro-Plastik an allen Ecken. Natürlich bin ich froh das wir da schon einen Schritt weiter sind, aber das ordnet das Problem ganz anders ein und zeigt was weltweit noch alles zu tun ist.

Vor der Kulisse hier, wirken manche Diskussion daheim etwas bizarr, aber es diskutiert sich halt auch leichter, wenn man in der 1. Klasse sitzt. Ich will damit nicht sagen, dass wir solche Diskussionen nicht führen sollten, ABER in der Diskussionstemperatur und in der Erwartungshaltung, wie kurzfristig all die Transformationen zu Hause geschehen „müssen“, könnte man etwas herunterregeln, glaube ich.

480) Jedem seine Bubble?

Ein Gedanke vom Joggen heute Morgen lässt mich nicht los. Da ging es im Hörbuch „12 Gesetze der Dummheit“ von Henning Beck unter anderem darum, dass Informationsblasen ja heute eigentlich Blasen sind, die sich um Gruppen herum gebildet haben. Da fühlt man sich kuschelig wohl, deshalb verlässt man diese Bubble auch nicht. Was aber, wenn durch fortschreitende generative KI und Individualisierung jeder Mensch in genau einer informativen Bubble lebt und jegliche Inhalte auf diesen einen Konsumenten zugeschnitten sind? 

Nein, ich meine keine Algorithmen die Inhalte zusammensammeln und uns auf die Geräte puschen, das gibt es ja heute schon und führt zur Filter Bubble. Nein, ich meine Inhalte, die aus dem Nichts erschaffen werden. Nur für den einen User. Also eine Art Creator Bubble. Es gibt keine Massenmedien mehr, keine Nachrichten, kein Twitter, kein Facebook und kein Hollywood, die Inhalte für mehrere Menschen produzieren und dann noch monatelang in den Mediatheken anbieten. Stattdessen würden Inhalte für den Moment geschaffen, danach sind sie wieder weg, sie existieren so kein zweites Mal. Niemand könnte diesen Blogbeitrag lesen, denn der wurde in meiner Bubble geschaffen und da bleibt der dann auch. Unsere Bubbles wären nicht miteinander verbunden, jeder blubbert in seiner eigenen Bubble vor sich hin, das elektronische Teilen wäre wieder abgeschafft.

Na, wie wäre das? Auf jeden Fall gruselig oder?

  • Marketingstrategen würden sich vermutlich freuen, können sie den Konsumenten dann den ganzen Tag mit individueller Werbung vollpumpen und Vergleichsportale gäbe es ja auch nicht mehr. 
  • Bei Despoten, da bin ich mir gar nicht so sicher, was sie davon halten würden. Sie könnten happy sein, weil sich über zwischen den Millionen von Bubbles kaum Widerstand des Bubble-Volkes organisieren lässt, allerdings hätten die Despoten das Problem, dass sie auch keine Massenpropanda auf die Human-Blasen herabgießen können. Auch doof. Für die Despoten.
  • Menschen werden möglicherweise viel kommunikativer. Vielleicht berichten sie gegenseitig von ihren individuellen Erlebnissen, denn analog kommunizieren können sie ja schließlich noch. Oder die Kommunikation schläft dann erst recht ein, weil der jeweils andere nicht mitreden, maximal zuhören kann. Wenn zwei Kollegen begeistert über ihren letzten Kinofilm schwärmen, wird das recht öde, wenn jeder 90 min nur über seinen Film rezitiert.

Tja, 80 Millionen Bubbles, in diesem Land wären dann vielleicht doch ein bisschen viel. 

Aber wie viele Bubbles wären denn optimal? 

  • Eine Bubble etwa? Oh, nein danke. Und hatten wir schon mal. Ging nicht gut.
  • Zwei Bubbles vielleicht? Dann wäre das vermutlich so wie in den USA.
  • Pro politischer Partei eine Bubble? Das ist viel zu grob, wenn man da nur an die Flügelkämpfe in den Parteien denkt. 
  • Pro Postleitzahl eine Bubble. Neeiiiiiiin! Um Himmels nicht das. Ich als einer der letzten noch nicht gentrifizierten Ur-Einwohner des Bezirks in einer Weißwurst-Maultaschen-Bubble?

Dann ziehe ich weg in meine eigene Bubble und blubber darin vor mich hin.

Nur ich … mit einer Tasse Bubble-T.

383) Klebegeister

Folgt man der echauffierten Diskussion um die Prima-Kleber, könnte man meinen, wir befinden uns im Sommerloch oder im Kindergarten.

Natürlich kann man über die Form des Protestes diskutieren und wenn man in einem solchen Stau steht, ist das in dem Moment vielleicht nicht lustig. Aber es wird ja so getan, als gäbe es sonst überhaupt keinen Stau in der Stadt und als würde hier nicht jeden Tag für oder gegen etwas demonstriert. Und wenn eine Feuerwehr einer 4-Millionen-Stadt nicht in der Lage ist, einen Stau zu durchfahren, dann liegt das doch bitte an der inkompetenten Verkehrsführung oder an den Autofahrern, die zu blöd sind, eine Rettungsgasse zu bilden. Man will mir doch wohl nicht im Ernst erzählen, dass eine handvoll Klima-Aktivisten, die an einer Brücke hängen, die Bundeshauptstadt lahmlegen! Da muss ich mir ja echt Sorgen um mein Leib und Wohl machen.

Jetzt wo Berlins Polizeipräsidentin angeblich eine „extreme zusätzliche Arbeitsbelastung“ durch die Klebeproteste beklagt, dann sollten wir besser wegziehen. Denn es steht schlecht um die Hauptstadt der Jammerlappen. Hier braucht man 14 Jahre um einen Flughafen zu bauen, man kann nicht mal eine Bundestagswahl ordentlich durchführen und dann ist man ist solchen Klebegeistern hilflos ausgeliefert und kriegt das große Heulen.

Wenn neben B.Z., BILD & Co dann noch öffentlich-rechtliche Medien solch einen Stuss zitieren und das Geschehen noch anheizen, ist das sicher nicht hilfreich

https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/11/berlin-polizei-polizeipraesidentin-klimaproteste-mehrarbeit.html

Besetzt Greenpeace in der Nordsee ein Ölplattform, dann finden wir das großartig, wenn sich aber Menschen dem Berliner Autoverkehr entgegensetzen, dann kriegen die Leute in den Autos einen Tobsuchtsanfall, auch wenn vermutlich zwei Drittel der Fahrer/innen echt nicht auf‘s Auto angewiesen wären.

Und dann kann sich sogar halb Deutschland drüber aufregen, egal ob es vor Ort überhaupt eine nennenswerte Kreuzung oder Brücke, geschweige denn ein Gemälde gibt. Dann quasselt man von Gewalt, von Nötigung, gar von Terror. Ich geh‘ kaputt.

Also wenn sich der deutsche Angstbürger da schon in die Hosen macht, dann will ich mir gar nicht ausmalen was passiert, wenn es hier mal zu ernsthaften Klima-oder Energiebedingten Ausfällen in der Infrastruktur kommt.

Wie sollen wir als Gesellschaft, all die dicken Bretter bohren, die da vor uns liegen, wenn uns so etwas schon an den Rand der Verzweiflung bringt. Den Deutschen muss man gar nicht dem Gashahn oder Atomkrieg drohen, es reicht schon, wenn sich ein paar Typen auf der Straße festkleben und wir machen uns selbst fertig.

Ich bin entsetzt … und enttäuscht.

Die Jungs von „Lage der Nation“ haben das in Folge 311 ab Minute 1:11:30 mal juristisch auseinandergenommen. Hörenswert!

https://lagedernation.org/podcast/ldn311-lindner-zu-tempolimit-bereit-interview-hoffnung-bei-us-midterms-wirtschaftsweise-fordern-steuererhoehungen-rechtslage-klima-blockaden-300-mio-verpulvern-fuer-konnektoren-synopsen-auf-bu/

264) Kein Kommentar

Wenn man sich der Bloggerei hingibt, wird man über kurz oder lang auch mal auf anderen Blogs unterwegs sein. Bei manchen schaue ich ab und zu vorbei, anderen folge ich und lese jeden Beitrag. Meistens „like“ ich die dann auch, als Zeichen des Gefallens oder auch als einfache „Lesebestätigung“ an den Verfasser.

Mit ausführlichen Kommentaren halte ich mich aber zurück, ich kriege das zeitlich nicht hin.

Was aber, wenn mir der Inhalt des Beitrags oder ein Kommentar unter diesem Beitrag so dermaßen gegen den Strich geht, dass ich aus der Haut fahren möchte? Wenn ich trotz aller Toleranz anderer Meinungen gegenüber, Schnapp-Atmung und massive Zuckungen in den Fingern verspüre, wenn ich dem „Antworten“-Button näher komme.

  • Künftig einfach drüberblättern? Ignorieren, nicht lesen? Gar die „Followerschaft“ kündigen, es mir in meiner Blase gemütlich machen und die Beiträge vorbeiziehen lassen, wie kurze Regenschauer?
  • Die Beiträge lesen, mich mit deren Inhalt auseinandersetzen, versuchen den Standpunkt zu verstehen, oder zumindest zu akzeptieren, dass es ihn gibt? Mehr Zuhören, statt Urteilen? Das „Die“ und „Wir“ hinterfragen, auch wenn es schwerfällt?
  • Drauf eingehen, etwas kommentieren, dabei aber sachlich bleiben und sich nicht im Ton vergreifen? Ist es das Mindeste was man machen kann, um ein Zeichen zu setzen, dass es andere Auffassungen dazu gibt?
  • Oder aktiv dagegenhalten, es mit Fakten versuchen und den/die Verfasser/In und die jeweilige Leserschaft mit Argumenten zu überzeugen? Soll ich mir tagelange Wortgefechte liefern und ist das nicht völlig sinnlos, wenn ich zwar mit einem Menschen digital diskutiere und aber vielleicht zig andere auch so denken?
  • Will ich mich an diesen Inhalten abarbeiten? Schließlich kenne ich die Leute ja gar nicht. Und wenn sie ihre Blogs so führen wollen, dann ist das doch deren Ding. Was geht mich das an? Und steht es mir überhaupt zu, in deren Vorgarten zu pinkeln?

Alles gar nicht so einfach. Ich komme da an die Grenzen und muss mir einen Umgang damit überlegen.

Zunächst werde ich den Blogs weiterhin folgen, denn es gibt da auch Beiträge, die nicht so ideologisch aufgeladen sind. Ich werde aber weniger kommentieren. Dadurch kriege ich noch mit, was in anderen Blasen so abgeht, schone aber meine Nerven.

Mal gucken wie das funktioniert.

241) The flying locus

Neulich tigerte ich durch mein Höhlenoffice. Das Headset auf der Rübe lief ich hin und her. Schreibtisch – Fenster – Schreibtisch – Fenster – Schreibtisch – Fenster. Der Labersack am anderen Ende der Konferenz hörte nicht auf zu lamentieren. Auf einmal sah ich eine Klo-Kabine am Himmel vorbeifliegen.

Was für eine willkommene Abwechslung, dachte ich. Die Stimme des Labersacks in meinen Ohren wurde immer leiser …

„Und deshalb frage ich dich ob, bla bla … bla … bl … b … ….“

Meine Gedanken drifteten ab:

  • Ist das Ding eher noch leer oder schon voll gefüllt?
  • Schwappt die Brühe eigentlich über bei starkem Wind?
  • Was, wenn da noch ein Bauarbeiter drauf sitzt und Zeitung liest?
  • Verursacht der vielleicht akustische Störungen, so dass man ihn zur Darmentleerung immer über die Kante schickt?
  • Ist vielleicht der Zoll auf der Baustelle und da verstecken sich fünf Illegale drin?
  • Was wäre das wohl für eine Sauerei, wenn das Ding vom Haken rutscht?
  • Und was hätten Monty Python aus dieser Szene wohl gemacht?

„Hallooooooooooo! Hörst du mich?? Bist du noch daaaaaa? Ich rede mit dir! Du antwortest ja gaaaaar nicht!“

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen:

„Doch doch, ich bin da. Ich denke, für die Beantwortung all deiner Fragen, sollten wir eine andere Flughöhe wählen. Mal von oben drauf schauen, weißt du? Durch eine andere Brille, sozusagen. Und wenn wir so nicht weiterkommen, kann man dich … ähm … „sich“ ja auch mal in einen Raum einsperren, vielleicht auch mal außerhalb … an einem ungewöhnlichen Ort, meine ich. Noch mal tiefer in die Materie eintauchen. So from top to down. Das kann ja auch mal ganz erfrischend sein. Ich meine, unsere täglichen Baustellen hindern uns vielleicht auch am kreativen Denken. Out of the box, weißt du? Und wenn wir den Scheiß dann immer noch vor uns haben, dann müssen wir die Entwicklung auch einfach mal laufen lassen, abkoppeln … abstoßen … du weißt was ich meine, oder? Und wenn das alles nichts bringt, dann müssen wir das halt auf alle Köpfe im Team verteilen.“

“Ja so machen wir das“

Na also!

172) Corona-Lektionen 67

Ich erspare mir heute eine Einleitung. Ich gehe sofort aufs Thema dieses Beitrags:
Medien und informationelle Fremdbestimmung in diesen Zeiten.

Eigentlich halte ich mich für jemanden, der gerne Informationen aufsaugt, Nachrichten hört/schaut und auch den politischen Diskurs verfolgt. Jetzt will ich hier wirklich nicht zum Medien-Bashing aufrufen, aber das, was aktuell ins Volk getrötet wird, ist nur schwer zu ertragen. Während die einen die Pandemie nahezu komplett aus dem Programm heraushalten, diskutieren sich die anderen zu Tode. Wenn uns der Virus nicht dahinrafft, dann wohl der Informationelle Burnout. Weil aber auch wirklich jeder seinen Senf dazugeben muss. Schon schlimm genug, dass Corona die Nachrichten und Diskussionsformate beherrscht, aber auch das Programm zwischendurch wird ständig vor die Corona-Kulisse gezogen. Ich glaube, die Leute sind nicht unbedingt Corona-müde aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung, sondern eher weil sie es nicht mehr hören können. 

Und das halte ich für gefährlich, denn Menschen ziehen sich dann aus dem Geschehen zurück und machen es sich in ihrer Blase gemütlich. Oder sie gehen Hetzern auf den Leim.

Da ist zum einen die schiere Menge der Informationen. Aber auch mein Eindruck, dass das wenigste wirklich eine Relevanz hat, etwas konstruktives beiträgt oder zum aktuellen Moment passt. Nähert sich beispielsweise der Mittwoch, wo das „Corona-Kabinett“ tagt, wird sich spätestens ab Sonntag davor, das Maul zerrissen. Kaum verlässt die Kanzlerin die Pressekonferenz, regt sich schon irgendwer auf, dass beim Thema Schule kein bundesweiter Konsens herrscht. Muss es denn? Ist es denn so ein Drama, wenn Bayern da anders agiert als Berlin? Spielt das infektionstechnisch irgendeine Rolle? Nein! Aber es wird geredet und geredet. Wertvolle Zeit mit Nebensächlichkeiten vergeudet. Dann wird mal jubelnd erklärt, dass Firma x und Firma y nun gemeinsam Impfstoff produzieren. Super! Durchbruch! Rettung naht! Die Euphorie beim Hörer wärt aber nicht lange. „Das geplante Werk kann Ende 2022 mit der Fertigung beginnen“. Na großartig. Ich finde es ja gut, wenn positive Nachrichten übermittelt werden, aber ist diese Information jetzt nötig? Schürt das nicht noch mehr Zweifel und Medien-/Politik-Verdrossenheit?

Was hätte eigentlich die Nachrichten bestimmt, wenn Corona nicht in unser Leben getreten wäre? Vermutlich hätten wir übers Klima gesprochen. Ach stimmt, Klima haben wir ja auch noch. Oder über flüchtende Menschen. Ja, auch die gibt‘s noch und sie hausen in übelsten Lagern, während wir diskutieren, ob Friseure wieder öffnen und Fußpflege nicht auch zur Menschenwürde gehört. Wahrscheinlich hätten wir auch mal erörtert, wie sich Digitalisierung langfristig auf die Beschäftigung auswirkt. Digitalisierung ist etwas mehr als Homeoffice und fehlendes WLAN an den Schulen. Und wahrscheinlich hätten wir jeden Morgen irgendwelche Twitter-Ergüsse des Mannes mit den orangen Haaren erlebt. 

Na immerhin, doch noch etwas positives an Corona gefunden…

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