160) Corona-Lektionen 60

Das Jahr geht vorüber, es war ein spezielles Jahr, dass wir so nicht mehr vergessen werden. Die Jahresrückblicke sind alle schon gelaufen. Zur Vorspeise wurden Hauptstadtflughafen, Stadtschloss und Tesla-Werk gereicht. Danach kam der sehr kräftige Hauptgang komponiert aus frittierten Corona-Viren auf US-Wahl-Gemüse, angereicht an etwas Brexit-Mus. Als faule Nachspeise gab’s noch querdenkendes Fallobst mit aufgewärmter brauner Sauce. Würg. 

Zwischen den Gängen war aber noch viel mehr zu besprechen. Hotels, Restaurants, Bars, Kneipen, Clubs, Theater, Bühnen und Musikhäuser sind dicht. Der Barber-Shop verkauft nun 400 EUR-Gutscheine für nur 200 EUR und versucht seinen Umsatz vorzuziehen. Das Traditionskino lockt mit 139 EUR für‘s komplette erste Halbjahr 2021. Oder es ist schon gar nicht mehr da. Wer weiß. Das Eis-Café ein paar Meter weiter lädt auch zum Räumungsverkauf.

Das Jahr wird überall verflucht, viele wollen es so schnell wie möglich vergessen, in der Annahme, dass das Jahr 2021 schlagartig besser wird. 

Und nun ist auch noch der Böller dran. Die letzte Bastion maskulinem Kriegsspielzeugs ist nachhaltig getroffen. Selbst das friedliche Bleigießen gibt es nicht zu kaufen, nicht einmal die weniger giftige Variante aus Wachs. Auch Wunderkerzen gibt es nicht. Schluss mit lustig. 

Morgen um Mitternacht gehen wir also auf den Balkon und schreien aus unseren Kehlen:

  • „PENG, Verschwindet ihr Corona-Geister!“ 
  • „PAFF, Willkommen 2021, prost Neujahr!“

Wir brüllen gegen diesen Scheiß-Virus an, der mittlerweile 1.000 Tote pro Tag fordert.

Jetzt will ich euch hier aber gar nicht so runterziehen. Jeder hat bestimmt auch ein paar positive Effekte aus der Zeit mitgenommen, oder?

  • Also zum Beispiel, bin ich noch nie so wenig Auto gefahren. Beim geplanten Öl-Wechsel, hat mich der Kfz-Meister wieder nach Hause geschickt. Ich soll erst wieder kommen, wenn die Lampe leuchtet. Ich war seit Mitte März auf keiner Dienstreise mehr, ich habe meinen CO2 Footprint der letzten Jahre etwas abgebaut und bin laut Schrittzähler 1.000 Schritte täglich mehr gelaufen als in 2019.
  • Der 7-Tage-Homeoffice-Bart hat sich endlich etabliert und man hat zum Chef eine ganz andere Haltung, wenn er das Zielerreichungsgespräch im Lila Strickpulli und Halskettchen führt. Zum Glück fand der Blurry-Mode zügig in die Video-Konferenzen, damit musst man nicht mehr auf die verkramten Regale der Kollegen blicken. Die beste Erfindung seit der Küchenrolle!
  • Ich habe noch nie so viel gelesen wie in den letzten Monaten, noch nie so viele Podcasts und Hörbücher gehört, als während meiner Freigänge durch den Stadtpark. Die Sohlen der Wanderschuhe sind abgelatscht, dabei war ich nicht einmal in den Bergen. Und ich habe mehr geschrieben als sonst, knapp 150 Blog-Beiträge sind so entstanden.
  • Und wir haben viel über unsere Grundrechte diskutiert. Jeder wird hoffentlich für sich erkannt haben, welche ihm/ihr wichtig sind. Bewegungs-und Reisefreiheit und eine vielfältige Medienlandschaft stehen bei mir ganz oben auf der Liste.

So, liebe Leser. Nun drücken wir mal die Daumen, dass auch die letzten Mitmenschen verstehen, dass der Begriff Lockdown vom Englischen „to lock“ kommt und noch nichts mit „Lockerung“ oder „Verlockung“ zu tun hat und schon gar nicht mit „Sunblocker“ 🙂

Guten Rutsch morgen in ein gesundes neues Jahr 2021!

… ganz speziell an die gute S. aus HD am N. die keine Neujahrswünsche empfangen will 😉

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159) Corona-Lektionen 59

Kaum ist der Weihnachtsbraten verdaut und Winnetou hat in die ewigen Jagdgründe eingecheckt, rollen LKW mit Polizeischutz über Europa‘s Autobahnen. Ein Anblick der Hoffnung macht. Denn sie haben den heiß ersehnten Impfstoff geladen. 

Beim Impfstoff wird mir wunderbar klar, wie verzerrt manchmal unsere zeitliche Wahrnehmung ist. Die Wartezeit auf diesen edlen Tropfen fühlte sich elendig lang an, dabei sind doch gerade erst einmal 10 Monate vergangen, seitdem das Virus an unsere Türen geklopft hat. Ein Rekord ist das. In unserer „Bestellichmalebenonline“-Welt wird uns mal gesund ins Gedächtnis gerufen, dass die Dinge nun mal ihre Zeit brauchen und dass man das Zeug auch nicht bei der nächsten Packstation abladen kann.

Beim kurzen Freigang durch den Kiez fällt auf, dass nur zwei Drittel der Parkflächen belegt sind. Wo sind all die Autos hin? Sind die nach Bayern und ins Schwabenland gefahren? Na ob das so angebracht ist in diesen Tagen. Vermutlich war es eine gute Entscheidung, dass neue Jahr mit Homeschooling zu beginnen, so dass die Familien in der Wohnung ausdünsten können. Und es müsste mal langsam etwas kälter werden. Im Stadtpark herrschte ausgelassene Stimmung gestern. Da wurden Gewichte gestemmt und Beachvolleybälle übers Netz geschmettert.

Apropos Stimmung. Sylvester steht vor der Tür. Und das, was Umweltschutz, Tierschutz, Gesundheitsschutz und Lärmschutz, jahrelang nicht geschafft haben, macht dieser kleine fiese Virus nun mit einem Fingerschnipp. Ohne Finger sogar. Es gibt nun ein Böllerverbot an öffentlichen Plätzen und es gibt auch keine Böller zu kaufen. Ein Novum. Und dann gleich noch eine Primäre. Der Supermarkt um die Ecke informiert bereits frühzeitig mit einem Plakat und drei Ausrufezeichen, dass es ab 31. Dezember 14:00 keinen Alkohol mehr zu kaufen gibt. Ich glaube, dass gab‘s noch nie im Land der Germanen. 

Wird „Dinner for One“ nun noch schnell umgeschrieben? Stößt Butler James fortan mit Himbeer-Brause an? Werden LKW Konvois aus dem kalten Osten über die Oder zu uns kommen, um uns im Rahmen einer humanitären Aktion mit Polen-Böllern und Kartoffel-Fusel zu versorgen? Es bleibt spannend.

Bis bald. 

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153) Corona-Lektionen 56

Üblicherweise tritt bei mir die Weihnachtssättigung immer am Abend des 26. Dezember ein. So war es zumindest in den letzten Jahren immer.

Der Druck fiel ab, nach den üppigen, gefräßigen Tagen konnte man endlich etwas relaxen und in die Weihnachtsferien gehen. Dieses Jahr habe ich die Sättigung bereits Ende November erreicht. 

Warum?
Obwohl ich noch keinen Weihnachtsmarkt betreten, keinen Glühwein getrunken und erst einen einzigen Lebkuchen gekostet habe, ist eigentlich schon genug. 
Ich war auf keiner Weihnachtsfeier, habe für kein Weihnachtsgeschenk im Laden angestanden und habe noch nicht einmal „Last Christmas“ gehört. Doch reicht es mir schon.
All meine Wünsche habe ich mir schon selbst erfüllt, nur um die deutsche Wirtschaft zu retten und  um mal ein anderes Gesicht im Homeoffice zu treffen. Auch wenn es „nur“ der wortkarge DHL-Mann war.

Seit Tagen wird das „große Fest“ auf allen Kanälen zerredet. Ob man sich denn nun treffen darf, wen man treffen darf und ob, wie und wie lange übernachtet werden darf. In den Hotels die eh geschlossen sind. 

Und schon fängt man selber an zu überlegen, ob das Kind noch unter die Altersgrenze fällt, ob man die Großeltern bei Minusgraden auf die Terrasse setzen kann, ob man gegenüber an einer Tafel sitzt oder besser doch im großen Stuhlkreis wie bei einer Talkshow. 

Gemeinsam singen sollte man dann besser auch nicht, auf Oma’s Schoß darf auch keiner hüpfen und Gesellschaftsspiele bei denen gebrüllt wird, sind tabu. Am besten wäre eigentlich, alle laden sich eine Weihnachts-App runter und begehen Weihnachten auf diese Weise. Still. Digital. In sich gekehrt. Mit viel Abstand. Bloß nicht sprechen, lachen oder singen. Klappe halten. Maximal eine WhatsApp-Nachricht aus der Küche. „Wollt ihr noch’n Glas Wein?“ oder „Noch‘n Stück Stolle?“ Getippt natürlich, nicht gesprochen.

Also meine Vorfreude ist mir eigentlich vergangen, noch nie habe ich … bzw. wurde ich … im November mit so viel Weihnachten beschäftigt. Oder will man uns eigentlich damit nur so lang wie möglich unterhalten, damit bloß keiner die unangenehme Frage stellt, wie es denn eigentlich im Januar weitergehen wird?

Sorry liebe Leser, ich will hier nicht den Grinch spielen und euch die Adventszeit versauen, aber besser wär’s doch, wir sagen das alles ab, gehen in den Winterschlaf und wachen kurz vor Beginn der Grillsaison wieder auf. Weiß jemand wie das geht?

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Passende Beiträge aus anderen Zeiten:

—> Paket-Dienst
—> Eislaufen über 40
—> Mega-Slide und Super-Maus

151) Corona-Lektionen 54

Bevor ich morgen in meine 36. Voll-Homeoffice-Woche starte, hier noch ein paar Gedanken zum Sonntag.

Fernweh
Am Samstag war ich im Buchladen denn ich verspürte Lust auf einen bunten Bildband mit Reiseeindrücken aus warmen Gefilden. Thailand, Vietnam, Indien … irgendwas aus der Ecke. Nach 10 Minuten fühlte ich mich aber wie Truman Burbank unter der Glaskuppel. Dort wo ihm ständig suggeriert wurde, dass es doch in Seahaven auch schön sei und es keinen Grund gäbe, diesen beschaulichen Ort zu verlassen. So schrien mich die Buchrücken da förmlich an:

„Hiergeblieben“
„Entdecke Deutschland“
„Unterwegs in Deutschland“
„Wo Deutschland am schönsten ist“
„Wandern mit Kindern rund um Berlin“

… und so weiter

Reagiert der Handel hier auf eine Nachfrage oder haben die vielleicht die Ansage bekommen, solche Bücher in die erste Reihe zu stellen? Oder bin ich etwas hypersensibel? Nach etwas Mühe konnte ich dann noch „Schweden“ und „Norwegen“ entdecken, aber dass war auch nicht gerade passend gegen den November-Blues.

Weihnachten
Bereits in der Corona-Lektion 43 von Anfang September, hatte ich spekuliert, wie Weihnachten und Jahreswechsel diesmal wohl ablaufen. Beim nochmaligen Lesen muss ich feststellen, dass ich da vermutlich gar nicht so falsch lag. Bei einer Sache allerdings schon. Ich habe mich gefragt, ob Weihnachtsmänner die Maske wohl eher über oder unter dem Bart tragen werden. Nun fürchte ich aber, die Frage wird sich nicht stellen. Gebuchte Weihnachtsmänner werden wohl keine fremden Wohnungen betreten dürfen, nehme ich mal an. Wahrscheinlich gibts aber auch hier schon findige Geschäftsideen. Ein Weihnachtsmann-Besuch per Video-Konferenz oder so. Künftig müssen Weihnachtsmänner also neben Bauch, Bart und tiefer Stimme auch noch eine ausgeprägte Digital-Kompetenz mitbringen. Der Berufsstand hat’s echt nicht einfach und befindet sich in einer großen Transformation. Zunächst bekamen sie immer mehr Konkurrenz von den DHL-Boten und anderen Päckchen-Amazonen, dann blieb auch noch der Schnee aus und nun müssen sie Zoom, Teams und Skype beherrschen. Bei uns im Kiez auch noch auf Englisch, Französisch und Spanisch. Die Eltern wollen das so für ihr Kind.

2021
Zurück zum Jahreswechsel und zum Jahr 21. Die 21 scheint eine besondere Zahl zu sein. Vor 20 Jahren zitterte die Welt schon einmal vor einer 21 und hoffte, dass all die Computer den Datumssprung ins 21. Jahrhundert schafften. Nun sitzen die Menschen wieder vor einer 21 wie das Kaninchen vor der Schlage und fragen sich, was da wohl nun kommen mag. Geht’s nun aufwärts oder kommt das dicke Ding erst noch. Tja, wenn wir das nur wüssten, oder?

Schönen Sonntag
T.

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