531) Von Bettel-Bias und Bias Battles

Bei den Diskussionen um Rassismus, Sexismus und Vorurteile (engl. Bias) fragt man sich bestimmt auch mal, wie man bei dem Thema so unterwegs ist. Ich zumindest. Zunächst kommt mir da schnell ein „Ich doch nicht“ in den Kopf, im Alltag ertappe ich mich dann doch ab und zu, nicht ganz frei von solchen Denkmustern zu sein.

Hier ein Beispiel aus meinem Alltag.

Vor dem Supermarkt an der Ecke bittet täglich jemand um Kleingeld. Dabei herrscht wenig Fluktuation, der Platz scheint saisonal erstritten oder „vergeben“ zu sein. Die Menschen, die dort auf ein paar Euro hoffen, bleiben längerfristig und da ich fast täglich in den Laden stolpere, kenne ich ihre Gesichter. Gelegentlich werfe ich eine Münze in einen Becher oder lasse einen Pfandbon da. Mir fällt aber auf, dass ich dabei je nach Nase unterschiedlich spendabel war.

In einem vergangenen Sommer saß ein Junge mit europäischen Wurzeln auf diesem Platz. Nennen wir ihn hier einfach mal „Mike“. Er war blond, hatte einen Hund an seiner Seite. Dieser Mike schien in Berlin gestrandet zu sein.
… was sitzt der hier rum? Ich hab’ den Arsch voll zu tun. Der kann doch arbeiten? Wenn er Geld für einen Hund hat, dann … 

Mike wurde irgendwann abgelöst durch einen Afrikaner. Der war groß, stämmig und nun ja halt … dunkel. Der verbrachte einen ganzen Winter dort, stand bei Wind und Wetter vor dem Supermarkt. Nennen wir ihn hier einfach „Kofi“ (um gleich mal das nächste Klischee zu bedienen), bei Kofi ging ich selbstverständlich davon aus, dass er geflohen war.
 … aus Afrika, man oh man. Bei dem Scheißwetter. Fernab der Heimat. So ein weiter Weg. Versteht die Sprache nicht, arbeiten darf er nicht. Was soll der hier auch anderes machen …

Aber auch Kofi war dann irgendwann weg. Dann stand eine Weile ein Mann dort, um den alle Passanten einen Bogen machten. Speckiger Mantel, ungepflegte Haare, zotteliger Vollbart, redete mich sich selbst oder mit seinem imaginären Gefährten. Die Finger, die seinen Becher hielten, waren schwarz, nicht weit von ihm stand immer eine Flasche. Welchen Namen geben wir ihm? Tja, da geht‘s schon mal los. Wie heißt „so einer“ denn? Cornelius, Maximilian, Jonathan? Oder Kevin, Randy, Mike? Kommen solche Menschen namenlos auf die Welt?
 …ich würd‘ dem ja was geben. Aber dann kauft der davon nur Sprit. Das hilft ihm ja auch nicht aus der Misere, so kommt der auch nicht auf die Beine. Aber ich kann dem doch jetzt auch keinen Prenzlauer-Berg-Öko-Vegan-Bio-Smoothie in die Hand drücken …

Der Mann ohne Namen war Ende 2023 verschwunden. Seitdem sitzt ein junge Frau dort auf den Steinplatten. Rein optisch würde ich ihre Herkunft „irgendwo“ rund um‘s Schwarze Meer vermuten. Sie hatte auch schon mal eine Zeit bei der Sparkasse die Türen aufgehalten. Nennen wir sie hier im Beitrag einfach „Mariana“.
…armes Mädel. Die sollte hier nicht sein, holt sich noch was weg, wenn die da so sitzt. Das kann man doch nicht mit ansehen …

Vier Menschen, die am selben Platz dasselbe tun. Einen Becher halten und auf Kleingeld hoffen.

Nun notiere ich meine Kleingeld-Gaben zwar nicht, aber wenn ich die nach Höhe und Name sortieren müsste, dann ergäbe es wohl folgendes Ranking … 

1. Mariana, weil Frau
2. Kofi, weil Afrikaner
3. Mann ohne Namen, weil Mitleid
4. Mike bekam nix, weil faul

… ziemlich sexistisch, rassistisch und vorurteils-beladen …
… ohne auch nur ein Wort mit denen gewechselt zu haben.

Oder?

(Titelbild mit freundlicher Unterstützung von DALL-E)

22) Kleingeld

Es gibt da etwas kleines, das kann ich hassen oder missen. Es kommt ganz darauf an, wo ich bin und was ich dort gerade so tue. Mal kann es klimpern und so sehr schwer sein, dass es einem fast die Hose herunterzieht. Mal ist es nur ein Bündel von speckigem Papier, bedruckt mit astronomischen Zahlen, aber trotzdem kaum etwas Wert. Heute geht es hier mal um das Kleingeld. Im deutschen Alltag wird man förmlich damit überschüttet. Es sind kleine Kupfer-Stücke, geprägt als 1-oder 2-oder 5-Cent-Münze. Während man die 5-Cent-Stücke wenigstens noch im Fön der Schwimmhalle oder für ein Brötchen beim Bäcker loswerden kann, lässt sich mit 1-oder 2-Cent-Münzen gar nichts anfangen. Man kann sie eigentlich nur verschenken oder in Gläsern sammeln. Aber selbst das spätere Umtauschen der Münzen in Banknoten kostet mittlerweile sogar Gebühren oder ist mit viel Aufwand verbunden. Man soll es vorher zählen und in transparenten Tüten verpacken oder sogar in Papier einrollen! Bestimmt nicht! Ich will das doch gar nicht haben! Wann wird der Irrsinn krummer Preise endlich abgeschafft? Rundet doch bitte einmalig alle Preise auf volle 5 Cent auf oder ab, dann hat das endlich ein Ende. Ich möchte gar nicht wissen, wieviel Energie mit Herstellung und Transport von 1-und 2-Cent-Münzen verbraten wird. Mit Sicherheit viel mehr, als der eigentliche Materialwert der Münzen. Andere EU-Länder haben den Weg wohl schon eingeschlagen. Auf Reisen aber mangelt es irgendwie permanent an Kleingeld. Besonders an den größeren Münzen. Die verschwinden in rauen Mengen als Trinkgeld, Klo-Geld oder Parkgebühr. Und die Kids wollen Kleingeld für Eis und den Billard-Tisch. In Asien dagegen gibt es kaum Münzen, dafür fehlt es dort immer an kleinen Scheinen. Jeder kleine Händler oder Dienstleister will etwas für die Familie verdienen, keiner kann oder will aber größere Scheine wechseln. Bettler schon gar nicht. Ein Kollege aus Indien erklärte mit neulich, mit welcher Taktik er am Geldautomaten sein Bargeld abhebt, um möglichst viel Kleingeld aus der Maschine heraus zu bekommen. Verrückt.

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25) Automat ohne Schlitz

Tut mir Leid, liebe BVG, aber bevor ich das Thema „ÖPNV“ erst einmal wieder verlasse, musst Du noch die andere Backe hinhalten. Ich mache es auch kurz. Ich kann das aber nicht zurückhalten, weil mich das seit Jahren ärgert und ich nicht verstehe, wo eigentlich das Problem dabei liegt. Vielleicht müsst Ihr es einfach besser kommunizieren. Worum geht es eigentlich? Schauen wir kurz zurück. Die allerersten Fahrkarten-Automaten verlangten damals Münzen, um eine Fahrkarte zu bekommen. Ok, das war nachvollziehbar. Die Fahrpreise waren ja niedrig und andere Zahlungsmittel gab es halt einfach nicht. Dann kamen die EC-Karten in den Umlauf, aber die konnte man eben nicht zur Zahlung an BVG-Automaten nutzen. Danach wurde das Zahlen mit der Kreditkarte immer selbstverständlicher. Zumindest in anderen Ländern. In Holland bezahle ich einen Espresso mit der Kreditkarte, in Schweden den Besuch des Bahnhofs-Klos. Warum zum Henker, muß man aber in Berliner Straßenbahnen und Bussen heute im Jahr 2018 immer noch mit Hartgeld zahlen? Da spreche ich ja noch nicht mal von Geld-oder Kredit-Karten. Wenigstens kleine Scheine könntet ihr doch annehmen, genau so wie die unzähligen Automaten in den Parkhäusern! Die schaffen das doch auch. Selbst 1 oder 2 EUR Parkgebühr kann ich notfalls mit einem Schein bezahlen. Fahre ich aber mit der BVG hin und zurück, bräuchte ich schon stolze 5,40 EUR in Münzen! Manchmal sogar passend! Man müsste all das Kleingeld glatt mal wiegen. Ich bin heilfroh, dass es mittlerweile die BVG-App gibt, um Tickets zu kaufen. Da läuft zwar auch nicht immer alles rund (siehe voriger Beitrag), aber ich muss wenigstens kein schweres Metall mit mir herumschleppen. Und was machen die Gäste in der Stadt, die noch schnell in die M10 hüpfen? Die stehen kopfschüttelnd vor den gelben Automaten und suchen den Schlitz für Schein oder Karte. Den wird es aber vermutlich nie geben. War das vielleicht von Anfang an Eure Strategie liebe BVG? Wusstest Ihr in den 80-er Jahren schon, dass die Smartphones irgendwann kommen und habt ganz bewusst die Zwischenstufen „Papier-Geld“ und „Plastik-Geld“ übersprungen? Habt Ihr vermiedene Infrastrukturkosten als Erfolg verbucht? Wenn ja, dann sage ich „Hut ab!“. Sehr visionär. Aber so richtig glauben kann ich es ehrlicherweise nicht. Für mich sieht es eher so aus, als sei Euch der Zahlungs-Komfort schlichtweg egal. Ihr ignoriert das einfach. Die Fahrgäste werden schon irgendwie an Kleingeld kommen, notfalls bittet sie der nächste Konti aus der Tram raus auf den Bahnsteig zur „Datenaufnahme“.

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