235) Asphaltfräse und Stille Nacht

Vor circa zwei Wochen wurden für unseren Straßenabschnitt große Bauarbeiten angekündigt. Für die Dauer von nur einer Woche. „Haha! Wer das glaubt“. In Berlin dauert so etwa sechs Monate. Aber wichtig: „Alle Fahrzeuge sind zu entfernen!

Fragen kamen auf:

  • Ist die Straße denn schon hinüber? Immerhin ballerten hier kürzlich noch Autos mit 70 Km/h durch unsere 30-er Zone. Da scheint die Straße doch intakt zu sein.
  • Oder haben all die Busse vom dem Schienenersatzverkehr der S-Bahn unsere Straße kaputtgefahren?
  • Und was ist mit denen erst vor 3 Wochen aufgemalten, großen Verkehrszeichen zur Verkehrsberuhigung. In Farbe weisen die auf Tempo 30 und Kinder hin. Egal. Futsch. Wurde aus einem anderen Topf bezahlt. Muss wohl neu ausgeschrieben werden.

Spekulationen kamen hinzu:

  • Was die da wohl vorhaben?
  • Wird das jetzt eine Fahrradschnellstraße?
  • Oder ein Teilabschnitt der Berliner Stadtautobahn?
  • Vielleicht bauen sie Bremsschwellen oder Pflanzkübel auf?
  • Kommen da Pop-Up-Radwege hin, Parktaschen und andere Spielereien?

Tja … und dann tat sich etwas:

Sonntag:
Die Grünen liegen in der Wahl vorn … dann wird es schon mal keine Stadtautobahn. Uff.
Die SPD gewann aber letztlich doch … dann werden es bestimmt PopUp-Radwege. Grmpf.
Autos werden weggefahren, es scheint, als machen die wirklich Ernst.

Montag:
Die Straße ist an den Seiten abgesperrt, nur eine Handvoll Autos standen noch da. Nun aber nicht mehr, da kostenpflichtig umgesetzt. Zum Abend treffen sich Waschbären, Wildschweine, Füchse, Kaninchen, Eichhörnchen und Brandenburger Wölfe und halten mitten auf der Straße eine Tier-Konferenz ab. Denn die haben weder Zoom noch Teams.

Dienstag:
Im Morgengrauen tauchten riesige Maschinen auf. Wie bei der Landung in der Normandie oder bei „Armageddon – Das jüngste Gericht“ rollten sie heran. Und dann ging der Lärm los. In meinem Höhlen-Office wackelten die Wände. Die Dinger fraßen sich … frästen sich vorwärts und am frühen Nachmittag hatten diese Monster die komplette Asphalt-Decke abgeräumt und in seine Einzelteile atomisiert. Krass. Die Kids waren ganz erstaunt. Wussten gar nicht, dass unter der Asphaltstraße noch die alte Kopfsteinpflasterstraße verläuft.

Mittwoch:
Was für eine stille Nacht war das. Ganz ohne Autos. Hätten wir vermieten können als „Ort der Stille“. Kaum war ich vom Laufen zurück, kamen andere Maschinen und schmierten wieder dampfenden Asphalt auf die Pflastersteine. In einer Affengeschwindigkeit. Gegen Mittag war die Show vorbei, das schwarze Zeug dampfte zwar noch, aber es sah schon wieder wie eine Straße aus. Wow, ich bin ehrlich überrascht. So schnell? Steckt da etwa der Elon Musk dahinter ;-)? 
Morgen muss das Zeug dann noch aushärten, ein paar Details werden noch gemacht und dann machen sie die Straße vermutlich am Freitag wieder auf. Dann kann man da sogar mit 100 km/h durch die 30-er Zone fahren. Supi!

 

Und es wird 18 Monate dauern, um das Verkehrsberuhigungsgemälde auf dem Boden zu rekonstruieren …

Andere Beiträge zum Thema:

58) Berlin baut Premium

Es muss mal wieder sein, liebe Leser. Ich kann nicht anders. Vor circa einem Jahr, habe ich mich hier im Beitrag >Berliner Landschaften bereits über total überdimensionierte Stadtplanung und Jahrhundertbaustellen ausgelassen. Weiter gehts mit Geschichten aus‘m Kiez bei denen man vom Kopfschütteln ein Schleudertrauma bekommt.

Im oben genannten Beitrag ging’s auch um einen Schulhof um die Ecke. Was hat sich da getan? Die Baustelle wird so langsam abgebaut, die Kids haben einen gigantischen Schulhof bekommen. Nach zwei Jahren Bauzeit, für Zwei Millionen Euro. Wahnsinn.

Unser Sportplatz wurde im Herbst 2018 gesperrt, eine neue Tartan-Decke war nach 25 Jahren mal fällig. Auf dem Bauschild war die Bauzeit ursprünglich bis Frühling 2019 ausgewiesen. Okay, über den Winter 18/19 sollte uns das nicht stören. Bis vor wenigen Tagen war das Gelände immer noch gesperrt. Und nun? Ja nun haben wir dort einen Sportplatz der Premium-Klasse! Ich war gestern mit dem Sohnemann dort, wollten ein wenig im Fußball-Käfig kicken. Die Türen des Käfigs waren … abgeschlossen. Was sonst.

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Nicht weit von da, toben sich immer noch die Parkplatz-Design-Fetischisten aus. Seit Monaten dauert das schon. Die Anzahl Plätze wurde reduziert, man soll jetzt schräg parken. Die verbleibenden Parkplätze wurden „aufgewertet“ und durch Boden-Mosaik-Kunst der Römer und Griechen inspiriert. Kurz nach Eröffnung werden die bestimmt zum UNESCO-Kultur-Erbe erklärt.

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Ost-Berliner Straßenlampen „gelber“ leuchten als Lampen im Berliner Westen, kann man nachlesen oder sogar aus dem Weltraum sehen. So geht’s natürlich nicht! Also wird das Viertel mit neuen weiß leuchtenden Laternen ausgestattet. Neben jede alte Laterne, wurde nun eine neue gestellt. Die alte Lampe steht aber immer noch dort und leuchtet weiterhin gelb. Sie wurde nicht abgebaut. Das ist dann ein neues Bauvorhaben.

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Ein paar Straßen weiter bekam die Kita einen Zebra-Streifen. Macht Sinn. Aber auch Zebra-Streifen werden heute nicht mehr nur aufgemalt, nein es sind komplexe Verkehrsprojekte geworden. Eine enge Kooperation von Straßenbau, Gehweggestaltung, Fahrbahnmarkierung, Straßenbeschilderung und Straßenbeleuchtung ist da von Nöten. Und da das letzte Gewerk noch nicht fertig ist, wird der Zebra-Streifen einfach mit einem gelben Kreuz überklebt und damit für ungültig erklärt. Die Autos können einfach drüber brettern. Rechtlich in Ordnung. Die Stadt ist aus der Haftung. Hoffentlich verstehen die Kinder das auch und laufen nicht gutgläubig über die Straße wie die Beatles in der Abbey Road.

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Also ehrlich die haben die doch ein Ding an der Waffel, oder? Ich meine, es ist ja gut, dass in Verkehrssicherheit, Sport und Schule investiert wird, aber muss es immer gleich Premium-Class sein? Würde denn nicht auch eine Nummer kleiner ausreichen, dann könnte man mehr von solchen Projekten schaffen und auch mal irgendwann fertig werden.

40) Vollschaden von Typ VZ2009 und WH38

Das Viertel in dem wir wohnen, war nach dem Krieg ziemlich kaputt und zu DDR-Zeiten mächtig heruntergekommen. Mittlerweile sind fast alle Häuser saniert, die Wohnungsbewerber reichen sich die Klinke in die Hand. Alt und Neu wechselt sich ab. Es ist „historisch gewachsen“, wie man so schön sagt. 

Gerade erst aus Indien zurück, joggte ich neulich durch die Straßen zum Park. Diesmal irgendwie „achtsamer“ als sonst. Der Kiez war so viel sauberer als Indien, kaum Dreck auf der Straße, viel grüner und alles viel frischer irgendwie.

Dafür fielen mir aber diesmal ganz besonders all die bescheuerten Straßen-Schilder auf, für die man in Indien gar kein Geld hat. Ganz besonders dann, wenn sie gar nicht auf eine explizite Situation hinweisen, sondern nur den miserablen Zustand der öffentlichen Verkehrswege in der ersten Welt dokumentieren. „Gehwegschäden“ und „Straßenschäden“ sind wohl die meist geprägten Schilder Berlins. Aber eben weil es ein Altbau-Viertel ist, habe ich gar nicht den Anspruch an „High-Tech-Flüster-Asphalt“ und „Nanopartikel-Beschichtete Gehwegplatten“.

Aber die Stadt muss diese Schilder vermutlich aus Versicherungsgründen an die Laternen nageln, damit niemand sie verklagt, wenn man sich beim Joggen die Knie aufschlägt oder ein nobler Kinderwagen der „Helicopter-Hypercare-The-Angel-Premium-Class“ das Vorderrad verliert. Also hängen an jeder Kreuzung unseres Tempo-30-Viertels solche Schilder. Die Rechnung ist ganz einfach: Eine klassische Kreuzung bietet vier Richtungen, multipliziert mal zwei Fußwege, macht also exakt … acht Schilder je Kreuzung! Nicht zu vergessen noch die Hinweise auf Straßenschäden in ähnlicher Anzahl.

Bemüht man die gängige Suchmaschine, findet man das Schild „Gehwegschäden“ mal unter der Typ-Bezeichnung VZ2009 oder auch WH38. Egal wie es nun heißt, kostet es je nach Reflexionsklasse und Befestigungsart ca. 30-40 EUR. Einzelpreis natürlich, ohne Montage und Mehrwertsteuer. Bei all den Schäden hier  kann die Stadt Berlin bestimmt gigantische Mengen-Rabatte verhandeln, trotzdem könnte man es doch einfacher und preiswerter haben.

  • Alle Berlin-Reiseführer erhalten ab sofort einen zusätzlichen roten Aufdruck „Caution: Walkway damage throughout the City“. Dieser Hinweis folgt dann gleich unter dem schon existierenden gelben Balken „New: The 10 Top sights to get drunk for low budget“
  • Am Flughafen TXL läuft direkt nach der „Alleinstehende-Koffer-Ansage“ eine zusätzliche Ansage. „Achtung, Achtung. Wir machen sie darauf aufmerksam, dass sie ab Verlassen des Flughafengeländes mit erheblichen „Gehweg-und Straßenschäden rechnen müssen. Dafür können wir ausnahmsweise mal nichts“
  • Die gelben Ortseingangsschilder an den Autobahnen und Landstraßen, bekommen einen zusätzlichen Text: „Mit passieren der Ortseingangsgrenze akzeptiert der Besucher hochwahrscheinliche Gehweg-und Straßenschäden und übernimmt daraus entstehende Folgekosten aus Beschädigung an Gesundheit und Eigentum zu seinen Lasten“.

Noch andere kreative  Ideen? Dann bitte einfach kommentieren !

 

Man o man, wäre ich doch nur Schilder-Fabrikant geworden…

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