Seit dem frühen Mittag kreisen Hubschrauber über unseren Dächern. Die Demonstrationen waren zwar nicht genehmigt, aber die „Gegen-Einfach-Alles-Gegner“ haben sich heute wieder unseren Stadtbezirk als Tummelplatz ausgesucht. Es ist ja auch ganz nett hier.
Hier spielen sie nun „Katz und Maus“, „Räuber und Gendarm“ oder „Freiheit und Diktatur“. Um die Mittagszeit war ich ca. 1 1/2 Stunden zu Fuß in meiner Hood unterwegs, um mir mal ein Bild von der Situation zu machen.
Was ich beobachtet habe:
- An mehreren Stellen tauchten auf einmal Gruppen von Menschen auf. PopUp-Demonstranten sozusagen. Wenige Fahnen, Schilder oder Transparente, dafür viele Rücksäcke. Sie sahen aus wie Touristen, wie auf Wandertag, nicht von hier. Sie wirkten auf mich auch nicht wie not-leidende Kleinunternehmer, die am Rande ihrer Existenz ihrem Ärger Luft machen wollten.
- Sie folgten keiner festgelegten Strecke, sondern liefen im Zickzack-Kurs durch den Kiez, durch Grünanlagen, über Seitenstraßen, Höfe und Tram-Gleise.
- Diese Leute blockierten Kreuzungen, liefen in den laufenden Verkehr und zwangen somit die Autos zum Halt.
- Die Polizei begleitete die Demo nicht wie üblich vorn und hinten (wie denn auch … es gab ja gar keine klare Wegführung), stattdessen eilten sie mit Blaulicht hinterher und versuchten den Mob irgendwie zu lenken.
- Im erweiterten Radius habe ich Radfahrer, E-Roller-Fahrer gesehen, die die Lage auskundschafteten und per Handy an die Demonstranten weitergaben, wo es denn „freie“ Räume gab, die für sie zugänglich waren.
Aber ich will denen hier nicht soviel Aufmerksamkeit geben, außerdem könnt ihr das auch woanders mit mehr Fakten nachlesen.
Aber ich tue mich grundsätzlich schwer damit.
Die Stadt Berlin geht mit Demonstrationen wirklich sehr offen um. Jeder kann hier seinen Willen kundtun. Einfach Demo anmelden, Genehmigung abwarten, Strecke und Regeln folgen und unter Polizeischutz seine Meinung kundtun. Quasi, ein Paradies für Frischluft-und Demo-Fans. Wo gibt es schon so etwas? Nur diese Meute dort brüllt laut nach „Freiheit“ und „Grundrechten“ und meint, dass alleine reiche schon aus, um Polizei und Anwohner mit ihrer asymmetrischen Demo-Führung den ganzen Sonntag zu beschäftigen.
Was tun?
Die Demo war nicht genehmigt, also die Teilnehmer einfach auseinandertreiben? Wasserwerfer, Platzverweise, Ordnungsstrafen? Das wäre rein rechtlich vermutlich sogar gerechtfertigt, aber politisch schwer vorstellbar, denn das würde ihnen nur noch mehr Rückenwind geben. Sie würden noch lauter „Diktatur“ brüllen, obwohl sie sich nicht ans freiheitliche Prozedere gehalten haben.
Soll man sie einfach machen lassen? Diesen wenigen tausend Menschen einfach mal die Tür zum Bällebad öffnen. Ein paar Stunden austoben in der Hauptstadt, bevor es dann morgen wieder zurück geht in die öde Reihenhaussiedlung? Auch schwierig, denn dann macht hier bald jeder was er will und die Stadt wird zum Demo-Adventure-Land
Ich habe keine Antwort. Und noch viel weniger Verständnis. Denn da, wo ich großgeworden bin, gab es keine Demonstrationen, bei denen man laut über die Straße rufen konnte, was einen stört oder was künftig anders werden soll. Denn dann fand man sich ruckzuck in einem Gefängnis wieder und die ganze Familie hatte auf Jahre etwas davon. Und auch heute, müssen wir gar nicht lange suchen und wir werden Länder finden, wo das an der Tagesordnung ist.
Ich kenne keinen dieser Menschen, die da durch die Straßen kreuzen, kann also auch nur aus der Distanz urteilen. Vielleicht tue ich auch Unrecht und ziehe hier die Schublade der Polarisierung noch weiter auf, wenn ich behaupte: Das scheint mir ein Haufen verwöhnter Mitmenschen zu sein, die sonst nicht viel zu melden haben und nun endlich mal die Klappe aufkriegen. Tut mir leid, anders kann ich es mir nicht erklären. Konstruktive Gegenargumente könnt ihr gern in den Kommentaren absetzen.
Nun ist 18:00 Uhr, es beginnt wieder zu regnen, es wird ungemütlich. Die Hubschrauber, sie stehen nicht mehr am Himmel, sie drehen größere Kreise. „Sehr geehrte Gäste, das Gaga-Land schließt in wenigen Minuten“. Und die Schreihälse? Vermutlich sind die auf dem Heimweg … ab auf die heimische Telegram-Couch. Morgen ist wieder Alltag …
Man möchte die Freiheit nicht erleben wenn die gegen alles Gegner Mal das sagen haben
Danke Xeniana, „Gegen Alles“ zu sein, ist zu einfach. Viele schwieriger ist es „für etwas“ zu sein. Schönen Sonntag noch!
Das nächste Schwierigkeitslevel wäre dann, das, wofür man ist auch aktiv umsetzen zu helfen…
Danke für deinen Beitrag. Ich sehe das wie du – und es geht
Mir auch wie dir .Ich hätte auch keine Lösung parat.
Vielleicht würde es ja reichen einfach mal ein paar von denen mit Sozialstunden zu beschenken. Das spricht sich rum und ist
Nicht das, was verwöhnte gegen Alles Menschen möchten?
Oh ja, das wäre doch auch mal eine Idee. Danke Petraida1
Ich kann dich gut verstehen. Aus dem fernen Indien sehe ich mir die westlichen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen auch mit Unverständnis an. Das Virus scheint tatsächlich die Menschen in zwei Gruppen zu spalten. Hart durchgreifen, bestätigt diese nur in ihrer Denkweise- nichts tun aber wohl auch. Gegenseitiger Respekt und Anstand wären gefragt, aber ehrlich gesagt, fällt es mir auch zunehmend schwerer gegenüber diesen Aluhutträgern Anstand zu wahren. Liebe Grüße Irène
Danke Irène. Ich bin da auch ratlos. Ich könnte es ja echt verstehen, wenn da Leute demonstrieren, denen das Wasser durch die Lockdowns bis zum Halse steht, deren Existenzen kaputt gegangen sind usw.
Und auch wenn ein paar durchgeknallte meinen, etwas Kamillen-Tee und Sing-Sang würde gegen Corona helfen, könnte mir das auch egal sein. Aber die „benutzen“ diese blöde Virus und zetteln darüber eine grundsätzliche Debatte über die „Unfreiheit“ in diesem Land hier an und verteilen das Virus währenddessen noch weiter, wenn sie in Gruppen und Bussen durchs Land gurken.
Da ist dann mit meiner Toleranz auch schnell Schluss
Meine Vermutung ist, dass wir es einfach auf gesellschaftlicher Ebene versäumt haben, klar zu machen, dass das Leben in einer Gemeinschaft einerseits natürlich Rechte gegenüber dieser Gemeinschaft bedeutet, dass es im Gegenzug aber eben auf Pflichten gegenüber dieser Gemeinschaft gibt. Nur Nehmen funktioniert nicht auf Dauer. Das müsste wieder mehr Menschen klar werden.
Und vielleicht müssten wir gemeinschaftlich auch mal überlegen, was wir tatsächlich unter Freiheit verstehen…
Oh oh, das sind aber ganz schön große Räder, die wir das drehen müssten und alle Strömungen müssten mitdrehen
Ich glaube, dass das, was Du beobachtet hast – einen deutlichen Hinweis darauf gibt, wie sich derartige Events in Zukunft entwickeln werden – weg von klar erkennbaren Demo-Strukturen und hin zu mehr derart chaotischem Verhalten wie am Wochenende in Berlin.
Denn nicht nur die Querdenker samt Anhang lernen dazu, sondern auch die anderen „üblichen Verdächtigen“, die sicher alle sehr aufmerksam verfolgen, wie überfordert die Polizei sich dabei zeigt. (wobei mir gerade der G20-Gipfel in Hamburg durch den Kopf geht, wo sich abseits der grossen angemeldeten Demos ähnliches ja auch schon ereignet hat. – wenn auch gewalttätiger, als die „Reihenhausbesitzer “ es in Berlin dargeboten haben.
Und ich vermute mal, das wird auf lange Sicht wohl auch eine Änderung der Polizeitaktik bewirken – dahin gehend, dass die Demonstranten schon weit vor dem Ort des Geschehens systematisch abgefangen werden, um sie gar nicht erst bis zum Demo-Ort kommen zu lassen….also ähnlich, wie man das schon zu alten Zeiten bei einigen Demos gegen Kernkraftwerke praktiziert hat.
Und ganz ehrlich: das macht mir auch ein wenig Sorge, weil damit das Demonstrationsrecht durch die Hintertür ausgehebelt werden kann – auch, soweit es „legale“ Demos betrifft….
Danke fürs Lesen und den ausführlichen Kommentar Wilhelm. In vielen anderen Ländern ist die Anmeldung einer Demo an sich ja schon aussichtslos und da kann ich auch ausgesprochen gut nachvollziehen, dass die Demonstranten am Rande der Legalität agieren „müssen“ und auch unkonventionelle Wege auf die Straße finden müssen. Denn sonst hätten sie ja nie eine Chance, ihren Unmut zu äußern. Aber diesen Zustand haben wir hier klipp und klar nicht. Jeder der demonstrieren will, kann das ja tun, auch wenn es mir inhaltlich nicht immer schmeckt. Ich fürchte auch, so wie du, dass das zu einer vermehrten Beobachtung im Vorfeld und während einer Demo führt … und das wollen „die“ ja eigentlich nicht und wir alle nicht. Ich will auf eine Demo gehen können, ohne mich vorher dafür „qualifizieren“ zu müssen. Aber das machen diese Typen gerade kaputt und fühlen sich noch ganz groß dabei.
Dumm ..
„Aber das machen diese Typen gerade kaputt und fühlen sich noch ganz groß dabei.“
Genau mein Gedanke….