In dieser Folge mit der Schnaps-Zahl 99, will ich mich gar nicht so sehr auslassen über Infektionszahlen, Impfquoten und Luftfiltersysteme der neuesten Generation (… Fenster). Nein heute soll es mal wieder um uns gehen, was das Virus sonst mit uns macht, auch wenn es uns glücklicherweise bislang nicht ans Bett gefesselt hat. Denn so ist ja die Beitragsreihe hier ursprünglich mal gestartet.
Ein paar Erlebnisse der letzten Tage:
Reisefieber
Vergangenes Wochenende war ich mal verreist. Allein. Zu einer Party. Mit der Bahn. Das allein ist schon etwas Besonderes, denn während ich vor Corona quasi jede Woche „irgendwo“ hingefahren/hingeflogen bin, war ich die letzten 18 Monate nur auf der Kurzstrecke und in der eigenen Corona-Blase unterwegs. Und schon gar nicht für eine Party. Diesmal erwarteten mich 6 Stunden Zugreise, mit Gepäck, Umsteigen und Kaffee-Filter vor dem Gesicht.
Am Abend zuvor fühlte ich ungewohnte Unruhe. Habe ich alles? Was ziehe ich an? Wo muss ich hin? Wieviel Zeit liegt bleibt fürs Umsteigen? Wo sind all die Kabel hin? Und das Aspirin? Und der Ersatz-Akku, das Nackenkissen? Der Sichtschutz für den Laptop? Vor Corona war das alles gar kein Thema. Der Rucksack stand immer einsatzbereit an seinem Platz, voll bestückt, ich hätte jederzeit abhauen und für Tage autark agieren können. Das war mein Rolling Office, incl. Apotheke und Drogerie. Aber nun war ich doch leicht gefordert.
Bahnfahrt
Die Fahrt war recht unspektakulär. Bis auf veränderte Wagenfolge, defekte Sitzplatzanzeige und dem üblichen Bahner-Jargon gibt‘s nicht viel zu berichten. Ich hockte dort, arbeitete und kämpfe mit der ständig beschlagenen Brille. Und dann bekam ich Hunger und griff zum Baguette. Der Nachbar hatte den gleichen Einfall und griff zu seinem. Ich stockte. Sollten wir jetzt etwa beide oben „blank ziehen“ und zeitgleich beherzt in französische Stangenbrot beißen oder besser doch nacheinander? Oder sollte ich warten, bis der mal aufs Klo geht? Und was, wenn der mit mir ein Gespräch anfangen will? Nach der Einfahrt am Ziel taten mir die Ohren weh, wegen dem straffen Gummi.
Party
Auf der Fete war ich zu Anfang noch etwas gestört. Manch einer fiel mir um den Hals, andere steckten mir Faust oder Ellenbogen entgegen oder winkten aus der Ferne. So standen wir da nun. Und nun? Hinsetzen. Essen. An meinem Tisch begannen die Gespräche mit Corona, den letzten Monaten, Lockdown, Homeoffice, Zoom, Teams, Jogging-Hose und so weiter. Puhh, eigentlich hatte ich gar keine Lust da drauf, aber ich merkte, dass jeder etwas loswerden wollte, die Zeit abschließen, den Sack zumachen. Und wie geht’s sonst? Was macht die Arbeit? Rückkehr ins Office? Pläne? Reisen? Ich hätte etwas Coaching in „Social Nearness“ gebrauchen können, soziale Wiedereingliederung für einen Höhlen-Worker mit Segelohren.
Aber dann ging es auf die Tanzfläche und wir zappelten die halbe Nacht durch.
Geht noch.
Schön war‘s.
Und so wichtig
Schönen Sonntag
T.
wunderbar; wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen – schön, dass Du dort warst.
Danke Hermann, ja das war schön und bei all der gebotenen Vorsicht auch wichtig und nicht „verhandelbar“ 😉
Tja, das mit dem Bahnfahren ist auch für mich immer noch ein Abenteuer, welches ich mir nun selten gönne und auch nur, wenn es unumgänglich ist – wie auch die sonst üblichen Fahrten mit dem ÖPNV.
Da stellt sich auch bei sinkenden Coronazahlen und dem inzwischen sehr routinierten Umgang der meisten Fahrgäste mit den Hygienemassnahmen bei mir immer noch heftige Gänsehaut ein….
Und nachher auch das Gefühl, was Du mit „Geht doch“ beschreibst.
Nur leider hält das immer noch nicht lange vor…..
Tja, das ist schon echt komisch, wie man sich ein bestimmtes Verhalten abgewöhnen kann und sich dann neben der Spur wieder findet, wenn man es wieder abrufen soll
„Soziale Wiedereingliederung“ – ja, das bräuchte ich wohl auch. Schön, dass Du Dich „nur“ gefordert gefühlt hast. Ich schramme manchmal nur hart an einem „überfordert“ vorbei…
Ich finde es gut, dass die Wichtigkeit der realen sozialen Begegnungen durch Corona mal recht deutlich gespürt wurde und hoffe, dass die Erinnerung daran möglichst lange erhalten bleibt.
Danke Belana Hermine fürs Lesen und den Kommentar. Eigentlich wollte ich „überfordert“ schreiben, habe es dann aber mit „gefordert“ ersetzt 😉
Schönen Abend!
Ist schon krass, wie man mit dem Virus „mitmutiert“. Ich merke dies auch bei mir. Liebe Grüße aus Südindien Irène
Hi Irène, „mitmutieren“ ist auch ein schöner Begriff. Werde drüber nachdenken. Grüße nach Chennai!
Ist eine neue Wortschöpfung 😉!