58) In die Provinz

Sonntag 12:55 Uhr soll es von Hannover in die Provinz gehen. Mit der S-Bahn. Knapp zwei Stunden wird das Vergnügen wohl dauern. Ich sehe das erst einmal ganz positiv.

Am Sonntag wird nicht viel los sein und so stelle ich mir die Fahrt eigentlich recht chillig vor. Etwas lesen, vielleicht was schreiben oder einfach nur aus dem Fenster glotzen. Ein Kurzurlaub quasi.

Kaum im Bahnhofsgebäude angekommen, ist es dort aber gar nicht chillig. Unzählige Leute rennen von Gleis zu Gleis, wuchten ihr Gepäck die Treppen hinauf, weil die Rolltreppen außer Betrieb sind. Andere stehen vor Imbissbuden und stopfen sich irgendetwas in den Hals. Pizza-Ecke, Asia-Nudel-Box oder Fisch mit Fritten. Tauben fliegen über Köpfe und Döner hinweg, an den Seitenausgängen lungern verwahrloste Gestalten und suchen Wärme. Ich besorge noch schnell Wasser und Sandwich, dann quäle mich mit zwei Koffern durch die Drehkreuze des Sanifair-Wohlfühl-Centers. Nach diesem Boxenstopp schlurfe ich mit abnehmender Motivation zur S5. Auf dem Bahnsteig warten bereits viele Menschen und ich stelle mich darauf ein, in der Bahn stehen zu müssen. Aber meine Position ist günstig, die Türen öffnen vor meiner Nase und ich kann einen Sitzplatz ergattern.

Zwei Mädels mit viel Gepäck setzen sich mir gegenüber und verteilen ihr Zeug um meine Füße herum. Der Zug fährt ab und bereits 5 Minuten später frage ich mich, wie ich nur so lange aufrecht sitzen soll. Die Beine angewinkelt, kribbeln schon bald meine Fußsohlen. Irgendwann wird der Zug geteilt, ein sicheres Zeichen dafür, dass Städte nun Orte werden. Einem nach dem anderen klappern wir ab, während wie durchs neblige Niedersachsen rollen. Viele von ihnen habe ich noch nie gehört. Entlang der Hot Spots Emmerthal, Bad Pyrmont, Lügde, Schieder und Steinheim verlassen immer mehr Menschen die Bahn. Die Distanzen zwischen den Stopps werden länger, die Phasen ohne Mobil-Funk auch. Bei Altenbeken sehe ich ersten Raureif auf den Bäumen. Etwas später erwachen die Fahrgäste um mich herum, checken ihre Telefone und ziehen sich ihre warmen Jacken an.

Sehr geehrte Fahrgäste. Dieser Zug endet hier. Bitte alle aussteigen.

2 Kommentare zu „58) In die Provinz

  1. Echt? Altenbeken? Das ist ja fast schon Ostwestfalen-City… (Bielefeld).
    Dann kannst du ja auf dem Rückweg von Bielefeld aus den RE6 über Porta Westfalica und Minden bis Hannover nehmen, am „Willi“ vorbei durch die westfälische Pforte ins norddeutsche Tiefland. Dauert auch nicht länger.
    Und du hast quasi eine Rundtour gemacht…
    Viel Spaß bei den (gar nicht so) sturen Ostwestfalen
    Annuschka

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