212) Wort oder Schrift

Letztes Jahr drang ein Gedanke in mein Ohr, der seitdem in meinen Notizen schlummert. Es war ein Podcast auf meinen unzähligen Corona-Freigängen, welcher die Frage aufwarf, was denn dieser Tage eigentlich mehr Bedeutung hat: Das Gesprochene oder das Geschriebene.

Früher hätte man selbstverständlich gesagt: „Das Geschriebene, ist doch logisch.“

Denn das hatte schließlich mehr „Wert“. Nicht umsonst hatten wir sogar Redewendungen, die den Hunger nach fixierten Texten unterstrichen. So wollten wir es erst einmal „schriftlich bekommen“, es „schwarz auf weiß sehen“ oder warten „bis die Tinte getrocknet“ ist. Das Mündliche war weniger wert. Kaum jemand hätte ein Auto ohne Vertrag gekauft, oder? Und wollte man jemandem mal deutlich die Meinung geigen, hätte man das schriftlich gemacht, um seine volle Wirkung zu entfalten. „Sie arrogantes Arschloch“, liess sich weitaus nachhaltiger schreiben, als nur so dahinsagen. Das „saß“ dann ordentlich und der Empfänger konnte länger daran knabbern. Und es garantierte eine Fortsetzung.

Kann es ein, dass sich das mit Social Media, Digitalisierung und der heutigen Informationsflut massiv verändert hat? Vieles läuft heute zwar digital, aber trotzdem immer noch schriftlich ab. Aber was ist ein Argument wert, wenn man es aufgrund der schieren Menge eh nie wieder finden bzw. schon gar nicht mehr suchen würde?

Was sind Beiträge oder Kommentare wert, wenn sie im Nachgang verändert werden können? Eine uralte e-Mail, die man stundenlang sucht, um sie einem Kollegen unter die Nase zu reiben. Oder wenn Investigativ-Journalisten frühere Statements und Widersprüche von Politikern aufarbeiten. Was ändert es? Welchen Stellenwert hat die schriftliche Information dann noch? Der Sachverhalt hat sich schon tausendmal überholt und das vermeintlich „verlässliche“ Zitat aus einem geheimen Papier verpufft in Sekunden. Schnell zweifeln wir, ob der Text überhaupt echt ist. Vielleicht ist der Text ja von einem Bot verfasst worden oder anderweitig frisiert? Fake News? Manipulation? Wer kann das schon nachvollziehen?

Dann wäre es doch eigentlich besser, man spricht es laut aus: „Sie arrogantes Arschloch“. Davon wissen zwar dann nur die zwei (bzw. auch alle Teilnehmer des Meetings) aber es lässt sich nicht mehr korrigieren. Das vergeht nicht so schnell. Das hallt nach. Wums! Großartig, diese Stille kurz danach 😉

Alle haben es gehört, gesagt ist gesagt …

 

Nachtrag: Oh, oh … ich sollte den Text vielleicht noch einmal ändern … dabei habe ich schon mehrmals …

8 Kommentare zu „212) Wort oder Schrift

  1. Er: „Das habe ich nie gesagt.“
    Sie: „Doch.“
    Er: „Habe ich wohl.“
    Sie: „Nö“
    (in Anlehnung an Mittermeier)
    Schriftliches lässt man sich meiner Meinung nach stärker durch den Kopf gehen. Und es braucht mehr Zeit, um aufgeschrieben zu werden. Deswegen hat es für mich (nach wie vor) mehr Gewicht.

  2. Interessanter Gedanke! Die Zeit des schriftlichen Berichtens und Dokumentierens ist nicht vorbei, aber sie hat sie hat ihren größten Anteil jetzt im Netz, und viele Urheberinnen und Urheber sind nicht vom gleichen Schlag derer, die in der Vergangenheit Texte verfassten.
    Mit der Überflutung der unzähligen dahingeworfenen Gedanken verlieren sie an Wichtigkeit, wie dieser Kommentar zum Beispiel. Wen interessiert das morgen noch? Aber ich schreib ihn trotzdem, und zuvor hab ich deinen Text gelesen. Man muss nicht immer ein Millionenpublikum haben. Oft reichen ein paar, für einen Moment, der einen kleinen Nachhall erzeugt. Besser als nix. 🙂
    Hab einen schönen Tag!

    1. ….ja – da stimme ich aus vollem Herzen zu 😉 Es ist für mich sogar viel eindringlicher, mit einem kleinen Publikum Gedanken, Thesen, Empfindungen zu teilen. Das geht tiefer, lässt mich intensiver nachdenken und macht auch deutlich mehr Lust aufs „Denken“.
      In diesem Sinne: Danke für die Anregungen an T. und Anhora 😉

  3. Recht hast du. Doch wer traut sich heute noch so etwas sagen. Wer traut sich noch unangenehme Wahrheiten aussprechen? ……
    Wäre aber tausendmal besser als hinterher digitale Ausbrüche……

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