628) Feuer frei

Erkundet man die Insel Rømø, wird man im Norden hinter Juvre zwangsläufig auf die „Rømø Shooting Area“ treffen, dann die Fahrt verlangsamen und sich kieselknirschend mindestens mal drei folgende Fragen stellen.

  • „Ähhhhm ….dürfen wir weiterfahren?“
  • „Sollten wir vielleicht besser umdrehen?“
  • „Und was ist wenn die auf einmal doch …?“

Ich gehe jede Wette ein, dass diese Zweifel dann häufig mit

  • „Wir können ja wenigstens mal kurz gucken“.

abgeräumt werden. Und so geschah es dann auch.

Obwohl die Anlage nicht sehr einladend aussieht, gibt es einen kleinen Parkplatz, eine Informationstafel und schließlich war Karfreitag … eher unwahrscheinlich dass nun gerade an diesem Tag Krieg geübt werden sollte.

Die mitreisende Jugend beruhigte sich etwas, als sie an der Tafel las, dass Schießübungen eine Stunde vorher über schwarze Ballons angezeigt werden, die dann in die Höhe gezogen werden. 

Also stapften wir an einem Wall entlang, der sowohl als Deich und auch Sichtschutz zum Übungsgelände diente, an einer Stelle konnte man den Wall über eine Treppe besteigen und bekam einen Überblick. Eine riesige platte Fläche lag dahinter, die wohl auch Überschwemmungsgebiet ist, ein paar Kühe fraßen Gras und einzelne Panzer standen in der Ferne. In Sichtweite lag ein Skelett auf dem Boden, was die Phantasie der Jugend erneut befeuerte und nur mit wiederholten Blicken auf die Ballons beschwichtigt werden konnte.

Auf dem Weg zurück zum Auto entspannte sich die Jugend wieder, übte trotzdem hin und wieder einen unauffälligen Schulterblick. Und obwohl die Ballons weiterhin unten blieben, war das Gedankenfeuer in meinem Kopf eröffnet.

  • Ein Familien-Auto, dass auf einen Plattenweg gerät und von Soldaten angehalten wird.
  • Schulausflug in eine Kaserne bei Lehnin, bei dem Jungs in einen Panzer krabbeln.
  • Grummeln und Wummern in der Ferne beim Pilzesammeln in Brandenburg.
  • Jagdflieger die über die Mecklenburgischen Seen hinwegdonnern und Ruderboote zum Wanken bringen.

  • Musterung,
  • Einberufung,
  • Kriegsdienstverweigerung

  • Bosnien, Kosovo, Tschetschenien …
  • Krim, Donbas …
  • Donezk, Saporischschja, Charkiw …

  • Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht

Noch dann sahen wir zwei Autos zögernd herankommen, sie stoppten, setzten fort … hielten und rollten wieder an. Damit war mein Kopf abgelenkt und das Moll verwandelte sich in ein Dur. Denn nun konnten wir herzlich spekulieren, welche Dialoge sich in den Autos wohl abspielten.

  • „Heinz, denkst wir dürfen hier weiterfahren?“
  • „Renate, hier steht doch nicht das wir nicht dürfen.“
  • „Du, Heinz meinst du nicht, wir sollten besser umkehren?“
  • „Aber die laufen doch auch da lang.“ … (und zeigt auf uns)
  • „Aber Heinz, was ist wenn die doch schießen?“
  • „Ach, Renatchen, mach dir mal kein‘ Kopp, is‘ doch Ostern.“
  • “Peter, was denkst du?“
  • “Lass uns mal gucken, aber du fährst vor Heinz.“

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5 Kommentare zu „628) Feuer frei

  1. Ist ja sehr belebend und erinnert mich an Anfang 70er Jahre, DDR Nordosten – Richtung polnische Grenze an der Oder – riesiges Truppenübungsgebiet der Nationalen Volksarmee – und wir Anfang 20 mit Trabbi (ohne Navi und auf Kartenmaterial war dieses Gebiet nur ein Fleck). Und plötzlich rollte ein Panzer auf uns zu, Hilfe !!! Was nun ??? Irgendwie konnten wir noch wenden und nichts wie weg, aber der Schock saß tief. Heute können wir nur drüber lachen !

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