710) Wenn der Amtsschimmel zum Arzt geht

Egal ob in der Amtsstube oder beim Doktor, man bekommt doch immer wieder etwas zum Schmunzeln und Kopfschütteln.

Vor sechs Wochen habe ich für den Stammhalter einen Personalausweis beantragt. Der Beamte konnte mittlerweile sogar Pass-Fotos mit dem Dienst-Handy machen und in den Vorgang einspeisen, fand ich super! Kostete zwar extra, aber warum nicht? Zum Abschluss bekamen wir ein Papier mit einer Internetadresse und einem QR-Code drauf, über den man den Fortschritt tracken kann. …

Der Ausweis wäre wohl mittlerweile fertig, auf dem Zettel fehlte allerdings jeder Hinweis, wie man den Ausweis abholt, wenn er denn fertig ist.

Also tingelte der Stammhalter heute, begleitet von der schlauen Schwester, um 16:00 Uhr zum Amt, wurde aber abgewiesen: Er müsse doch bitte einen Termin machen. Es gäbe allerdings spezielle Abholtermine. Auf einer anderen Plattform als die Termine zur Beantragung, natürlich. Also klickten sie sich durch und fanden einen Termin, für Morgen um 13:55 Uhr. What?

Aber auch im Gesundheitswesen, das ja eigentlich weiter ist in Sachen Digitalisierung und Terminabwicklung, heute wieder ein ähnliches Trauerspiel.

Ich betrete die Praxis und gehe auf den Tresen zu. Beide Plätze sind besetzt,  jeweils eine Arzthelferin dahinter, davon ein Patient.

Rechter Platz – Patientin: „Und wie machen wir das am besten? Soll ich es vorbeibringen?“

Linker Platz – Patient: „Ick will mein Rezept für Ramipril abholen.“

Rechter Platz – Arzthelferin: „Wie meinen Sie das?“

Linker Platz – Arzthelferin: „Welches Rezept?“

Rechter Platz – Patientin: „Na die Auswertung?“

Linker Platz – Patient: „Ick hatte Ihn‘ doch ’ne E-Mail jeschickt.“

Rechter Platz – Arzthelferin: „Am besten, Sie schreiben uns eine E-Mail, dann haben wir alles schriftlich und können das dem Doktor vorlegen.“

Linker Platz – Arzthelferin: „E-Mail? Nicht gut. Wir haben da Probleme. Die E-Mails verschwinden immer.“

Rechter Platz – Patientin: „Oh, toll, danke, ich setze mich noch mal ins Wartezimmer

Linker Platz – Patient: „Aber dann müssen’se die E-Mail aber oooch löschen, wenn se doch noch ankommt. Sonst hab ick ja zwei Rezepte auf der Karte. Ick meine, mir soll’s ja recht sein … aba ….“

Der Nächste, bitte!

PS: Titelbild via ChatGPT, sieht man daran, dass immer 10 nach 10 ist 😉

585) Digitale Transformation

Transformation ist … wenn man … irgendwie … zwischen zwei Zuständen ist. Zwischen fest und flüssig. Zwischen roh und durch. Zwischen männlich und weiblich. Zwischen kindlich und erwachsen. Zwischen alt und neu. Zwischen analog und digital, womit wir schon beim Thema wären.

Letzteres trifft auf die Digitalisierung in Deutschland zu, die deckt ein IT-Leistungsspektrum von über dreißig Jahren ab … also rückwärts betrachtet.

In die Epoche der frühen Neunziger würde ich mal locker Handwerker, Hausverwaltungen und andere technische Dienstleister (Autowerkstatt, Ablesedienste, Klempner etc) einsortieren. Die haben zwar alle eine E-Mail-Adresse auf ihrer Homepage (aufgebrummt bekommen) aber ernsthaft lesen tut das eh keiner, geschweige denn antworten. Es ist ein Trauerspiel. Das Medium E-Mail ist seit 30 Jahren für jedermann verfügbar … aber in gewissen Branchen heisst es nur … „dafüa ham‘wa keene Zeit“.

Etwas weiter vorn, würde ich mal deutsche Behörden, Schulen, Ärzte, Krankenkassen positionieren. Da kann man immerhin mal schon etwas online machen, irgendwas beantragen, Rechnungen einreichen oder über eine Postbox Nachrichten empfangen, es sind aber noch sehr viele Medienbrüche drin. Aber immerhin. In Berlin arbeitet man an einem ganz „innovativen“ Konzept, man soll sich künftig fertiggestellte Ausweise und Pässe nach Hause schicken lassen können. Wow. Für 15 EUR. Oder „Sie müssen zum Kunden-Center der Berliner Verkehrsbetriebe gehen“ und bilden da eine hübsche Menschenschlange. Gruß an die hiesige „Ministerin für Familie, Kultur und Außenbeziehungen“. Halt‘ durch!

Ganz vorn sind da mittlerweile Banken und Versicherungen. Über eine volldigitale Kreditvergabe in nicht mal drei Stunden haben ich >hier schon geschrieben. Aber es geht noch besser. Im Rahmen eines Autokaufes, musste eine neue Versicherung her. Das gewählte Institut schickte mir fünf PDFs per E-Mail und ich hatte schon Angst, ich muss die teilweise drucken, unterschreiben, dann wieder einscannen und irgendwem zurückschicken. Aber nein, kurz darauf folgte eine PIN, mit dem man in den digitale Signatur-Prozess eintreten konnte. Der Mechanismus brachte mich in den PDFs zu den Unterschriftsfeldern, wo ich die Wahl zwischen drei verschiedenen digitalen Unterschriftsarten hatte. Ich entschied mich fürs Handy. Dann musste ich nur einen QR-Code fotografieren und auf meinem Telefon (!) erschien ein Unterschriftsfeld. Da unterschrieb ich dann mit dem Fingernagel, drückte  „weiter“ und wie von Zauberhand erschien meine Unterschrift in dem PDF auf meinem Computer (!). Das Gleiche tat ich dann noch viermal und damit war der Prozess beendet.

„Ihre unterschriebenen Dokumente wurden übertragen.“

Das war’s. Kein Ausdruck, keine Unterschrift, keine App, keine lästige E-Mail an irgendwen … nüscht.

Schwer begeistert.
So muss das! Weiter so!

Ausdrücklich in CC an Berliner Verkehrsbetriebe, Deutsche Bahn, Industrie und Handelskammer, Verband der Krankenkassen, Bürger-Büro, Bildungsministerium, unsere Hausverwaltung, unseren Reifendienst und all die anderen Läden, die es immer noch nicht hinkriegen … in bald … 2025!

Ein Viertel des 21. Jahrhunderts is `rum Leute.

Andere Beiträge zum Thema:

89) Deinventing the e-mail

Die Menschheit hat nun wirklich tolle Dinge erfunden. Einige bahnbrechende Ideen und Entdeckungen will ich heute nicht mehr missen. Das Rad zum Beispiel, das Klo, die Küchenrolle, den Dübel, den Strom und mein Tablet natürlich. Die Liste könnte ich endlos fortsetzen. Es gibt aber auch Erfindungen, die könnte man gern wieder ungeschehen machen.

Ganz oben auf der Liste stehen die Atombombe und die Landmine, gleich danach kommen Nazis und Rechtspopulisten jeglicher Art, dann SB-Kassen, Fahrkartenautomaten, Social Media Foren, E-Roller und e-mails.

Ja e-mails. Na ja, vielleicht nun doch nicht alle e-mails. Die e-mails, die einen klassischen Brief ersetzen oder eine lästige Warteschlange abkürzen dürfen gern bleiben. E-mail-Kampagnen können gern „rückerfunden“ werden. Gibt‘s das Wort? Nicht „inventing“, „reinventing“, sondern „deinventing“. Wieder ein Wortkreation die ich mein eigen nennen kann!

Einige paar Beispiele aus den letzten Tagen:

  • Der Fußballclub aus Köpenick, der ja nun wirklich alle meine Sympathien hat, bietet mir in drei e-mails Tickets für die Champions-League an. War wohl ein Versehen. Die e-mails hätten nur an Mitglieder rausgehen sollen. „Ob Mitglied oder ohne, sie kommen hier nicht rein“. (Udo Lindenberg). Es folgten drei Entschuldigungen. An eurer IT müsste ihr noch arbeiten Jungs, Eiserne Grüße nach Köpenick!
  • Ich buchte eine Reise für Anfang nächsten Jahres. Modul auswählen, Beginn und Ende festlegen, Kreditkarte … fertig. Großartige Erfindung! Mittlerweile habe ich sieben e-mails von denen. Vier davon sind „Itineraries“, sollte man also lesen, könnten Überraschungen drinstecken.
  • Bett und Dach müssen gefunden werden für ein Advents-Wochenende. Klick, klack, einfach, gebucht. Supi. Gefolgt von fünf e-mails … Anreisehinweise … wir freuen uns …es dauert nich mehr lange … wunderbar … begrüßen … bald ist es so weit … bei Fragen … jederzeit. Hey. Ich will euch nicht heiraten. Ich will nur bei euch pennen!
  • Die Inbox des Arbeits-Accounts wird geflutet durch Newsletter, bescheuerten Meldungen von Microsoft und Kollegen, die „ Ich hab da mal `ne Frage“ in den Betreff schreibe. Nee, Leute. So nich‘!
  • Der Ober-Stressor ist aber die große Buchungsplattform, die mich seit Rückkehr aus Kanada mit Feedback-und Bewertungs-Anfragen für die Unterkünfte nervt. Alter … geht mir nicht auf die Ketten!

Tolle Erfindung, aber bisschen übers Ziel hinaus. Ganz zu Schweigen davon, was das alles an Geld, Strom und Nerven kostet … letztlich gelöscht zu werden.

Brauch‘ ick nich‘.

61) Handwerk Analog

Wenn man in Deutschland von Digitalisierung spricht, geht es häufig um die Infrastruktur. Fehlende Highspeed-Leitungen, Funk-Antennen und ähnliches. Man hört von Mittelständlern auf dem Lande, die einmal am Tag zu irgendeinem Hotspot fahren, nur um die elektronische Post zu erledigen. Gruselig.

Das wird sich irgendwann ändern.
ABER: Hardware, Kabel und Highspeed ist das eine. Worum es mir hier heute geht, ist die Digital-Kultur, besonders in der Dienstleistung, noch spezieller im Handwerk.

Versucht mal, in Berlin einen Handwerker per e-mail zu erreichen. Warum per e-mail? Na weil ich tagsüber schlecht telefonieren kann. Weil ich am Freitagnachmittag nicht vor verschlossenen Türen stehen will. Weil Handwerksfirmen ihre e-mail-Adresse auf deren Homepages und Autos schreiben. Darum.

  • Im September habe ich einen Polsterer angeschrieben, mein Problem geschildert und Fotos beigefügt. Ich habe nur um ein Statement gebeten, ob er ein solche Reparatur übernimmt, bevor ich samt Möbelstück zu ihm fahre. Bis heute, Januar, nichts gehört.
  • Im November dann eine e-mail an eine Gas-Wasser-Heizungs-Firma. Wieder mit Problembeschreibung und Fotos. Tagelang hat niemand reagiert. Daraufhin rief ich dann an und bekam eine typisch Berliner Antwort: „Watt, per e-mail? Also dafüa ham‘wa keene Zeit“. Na danke auch.
  • Vor ein paar Tagen wieder per e-mail an eine Schlosserei. Keine Antwort. Nach Tagen ging ich dann vorbei und verwies auf meine e-mail. Nichts. Nicht mal ein, „Oh, tut mir Leid, ist irgendwie untergegangen“, oder so. Anschließend war ich an diesem Tag dreimal dort, um irgendwelche Maße und Fotos vorbeizubringen. Das war die längste Mittagspause der letzten Monate. Immerhin etwas.

Vielleicht habe ich einfach nur Pech gehabt und woanders läuft das besser. Tut es das? Es braucht mehr als nur Antennen und Netze! Es braucht eine grundlegende Digital-Kompetenz (… und ich rede aktuell ja nur von e-mail …).

Zusätzlich braucht es eine digitale Service-Attitüde und dazu gehört mehr, als sich bei t-online eine Mail-Adresse zu besorgen und eine billige Homepage aufschwatzen zu lassen.

Beim Schreiben des Beitrags, bin ich auf folgende Website gestoßen:
https://www.handwerkdigital.de

Dort thematisiert man die Digitalisierung um Handwerk.

Ein Auszug:

„… Das analoge Geschäftsmodell, hier der Verkauf und Verlegung von Fliesen und Designböden sowie der Verkauf und die Montage von Kachel- und Kaminöfen, soll mit den Möglichkeiten der digitalen Welt verknüpft werden. Beratung, Verkauf aber auch Auftragsbearbeitung und -umsetzung werden über den Einsatz von Virtual-Reality-Technologien (VR) erleichtert und verbessert, indem neue, digitale Präsentations- und Kommunikationsmöglichkeiten für den Kunden entstehen. Ein wesentliches Projektziel ist die Erweiterung der bestehenden Kundenbasis sowie die Erschließung neuer Zielgruppen, z.B. sehr technikaffine Menschen wie „Digital Natives“. Für die Auftragsbearbeitung und -umsetzung werden über eine weitestgehend medienbruchfreie Gestaltung der Prozesse ein Effizienzgewinn und eine Verbesserung der Kundenzufriedenheit angestrebt…“

Na denn strebt mal! Aber vielleicht fangt ihr erst einmal damit an, eure e-mails zu lesen?