Als Noah den Rasenmäher übers Gelände schob, dachte er wieder einmal über die Veränderungen nach, die er dort in letzter Zeit feststellte.
„Man, jetzt gibt’s hier auch schon so kahle Stellen, das war doch früher nicht so. Es war eher moosig und feucht, das Grundwasser stand sehr hoch. Das Gras verschwindet nun zunehmend, stattdessen wuchert Wein und der Bambus treibt in alle Richtungen.
Und die Wurzeln überall, die jetzt immer mehr aus dem Boden heraustreten, die waren doch vor ein paar Jahren auch noch nicht zu sehen. Hebt irgendetwas die Bäume an oder verschwindet einfach immer mehr Boden?
Auch die Senken, diese Vertiefungen hier und da. Die werden auch immer mehr. Wo ist nur all das Material hin? Was ist hier nur los?“
Mit jedem weiteren Schritt, mit jedem Quadratmeter gemähtem Rasen, versucht sich Noah einen Reim auf die Entwicklungen zu machen.
„Ist es die Globale Erwärmung, die zunehmende Versteppung, von der man so liest? Wird hier letztlich alles versanden, die Sahel-Zone bis an den Berliner Ring heranreichen?
Sind es Ameisen, Termiten, Schnecken oder Käfer, die uns den Boden wegfressen? Vielleicht ein gigantischer Super-Wurm. So wie in dem Film, wo Kevin Bacon und Fred Ward gegen Raketen-Würmer kämpfen?
Wird das Grundwasser von der Auto-Fabrik abgezweigt, die in der Nähe gebaut wird? Steckt eventuell der Nachbar dahinter, der schon immer scharf auf das Grundstück war? Oder ist es gar eine gigantische Verschwörung? Man hört ja so einiges.“
Aber er schüttelt den Kopf, winkt ab und findet einen ausreichenden Grund.
„Bestimmt ist es einfach der normale Lauf der Dinge. Landmassen bewegen sich, Erde wird verdichtet oder vom Wind abgetragen. Ja, das wird es vermutlich sein. War schon immer so. Kein Grund zur Panik.“
Mit dieser Erklärung macht sich Noah daran, sein Abendessen vorzubereiten. Spaghetti Bolognese. Ideal fürs Wochenendhäuschen. Er erhitzt eine Pfanne und verteilt Oliven-Öl im Kreis. Kurz darauf beobachtet er verdutzt, wie sich das Öl in einer Ecke der Pfanne sammelt.
„Was ist hier bloß los? Mhm, vermutlich nur die Küchenmöbel, die nicht richtig austariert sind. Aber das war sonst nicht so.“
Er tut Nudeln mit viel Sauce auf einen tiefen Teller und setzt sich mit einem Glas Wein an den Tisch vor der Hütte. Kaum Platz genommen, rutschen die Nudeln samt Sauce auf die eine Seite des Tellers, so dass er den Teller-Boden sehen kann.
„Was zum Geier … ? Na ja, bestimmt steht der Tisch schief. Muss ja wohl. Was sonst.“
Er nimmt den Teller auf den Schoß, aber auch dadurch ändert sich nichts. Die Nudeln bleiben auf der einen Hälfte des Tellers.
„Wie geht das? Na dann … müssen eben die Steinplatten hier schief sein. Logisch.“
Er dreht den Teller um 180 Grad, um zu sehen was geschieht. Nudeln und Sauce rutschten auf die gegenüber liegende Seite des Tellers.
„Ok, genug Wein für heute, ich gehe ins Bett.“
Kaum hat er sich langgemacht, nimmt sein inneres Gleichgewicht ein Gefälle war.
„Hey, sag mal spinn ich? Ach, vermutlich ist wieder das Lattenrost von der Halterung gerutscht.“
Noah wirft einen Blick unter die Matratze, aber alles ist an seinem Platz. Er legt sich wieder hin und platziert sein Handy für die Nacht auf der Bettkannte. Wie immer.
Dreimal brummt das Telefon und rutscht dann von der Bettkante. Er hebt es von der Erde auf steigt in einen Chat mit Yumi ein.
Yumi: Na, was geht?
Noah: Es geht abwärts!
Yumi: Du Scherzkeks 😉
Noah: Ich scherze nicht!
Yumi: Sehen wir uns morgen?
Noah: Bin nich‘ sicher…
—> Abwärts – Vol 2